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The basics

Quick Facts

The details (from wikipedia)

Biography

Der Mordfall Walter Lübcke ereignete sich am 2. Juni 2019 in Istha bei Kassel: Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) wurde vor seinem Wohnhaus mit einem Pistolenschuss aus nächster Nähe in den Kopf getötet. Als dringend tatverdächtig wurde am 15. Juni 2019 der hessische Rechtsextremist Stephan Ernst festgenommen. Am 25. Juni legte er ein Geständnis ab, das er am 2. Juli widerrief.

Als Tatmotiv nannte Ernst darin Äußerungen Lübckes während der Flüchtlingskrise 2015. Lübcke hatte sich damals für die Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt und war der Hetze gegen diese von Seiten der Kagida, des Kasseler Ablegers der islamfeindlichen und rassistischen Pegida, bei einer Bürgerversammlung im Oktober 2015 öffentlich entgegengetreten. Danach war er zahlreichen Anfeindungen und Morddrohungen ausgesetzt.

Lübckes Tötung, deren Hintergründe und Folgen sind Thema einer breiten öffentlichen Debatte in Deutschland. Diskutiert werden unter anderem die Kenntnisse der deutschen Sicherheitsbehörden über den Tatverdächtigen, die mögliche Mitverantwortung der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) für den Mord, das Verhältnis der CDU zur AfD, zunehmende Angriffe auf Kommunalpolitiker und mangelnde Strafverfolgung von Hasskriminalität in sozialen Netzwerken.

Ermittlungen

Lübcke wurde am 2. Juni 2019 um 00:30 Uhr von einem Angehörigen auf der Veranda seines Hauses in Istha bei Kassel leblos aufgefunden. In der Kreisklinik Wolfhagen wurde um 2:35 Uhr sein Tod festgestellt. Die Obduktion ergab, dass ein Projektil aus nächster Nähe auf seinen Kopf abgefeuert worden war und ihn getötet hatte. Weil die Polizei keine Waffe am Tatort fand, schloss sie einen Suizid aus und nahm ein Tötungsdelikt an. Das Hessische Landeskriminalamt (LKA) und das Polizeipräsidium Nordhessen bildeten eine gemeinsame Sonderkommission, die zunächst in alle Richtungen ermittelte.

Sofort nach Bekanntwerden der Tat kam der Verdacht eines rechtsextremen Tatmotivs auf, weil Lübcke seit Oktober 2015 aus mutmaßlich rechten Kreisen Morddrohungen erhalten hatte. Zuvor hatte er eine geplante Flüchtlingsunterkunft bei einer Bürgerversammlung in Lohfelden verteidigt und auf Angriffe von Besuchern geantwortet, wer die Werte der Verfassung ablehne, dem stehe es jederzeit frei, Deutschland zu verlassen. Besucher hatten seine Antwort als Videoausschnitt im Internet verbreitet. Die Präsidentin des LKA Hessen, Sabine Thurau, sah anfangs keine Hinweise auf einen Zusammenhang der Tat mit diesen Mordaufrufen und Lübckes Aussagen zur Flüchtlingskrise. Sie bat darum, auf Spekulationen zum Mordmotiv zu verzichten. Die Ermittler erklärten zudem, es habe vor Lübckes Tod keine Gefährdungslage für ihn gegeben. Sie prüften jedoch auch, „ob es strafrechtlich relevante Inhalte in den Botschaften gegen Lübcke gibt und ob sie möglicherweise im Zusammenhang mit der Tat stehen.“

Am 1. Juni 2019 um 23:30 Uhr war Lübcke letztmals lebend gesehen worden. Die Ermittler erhielten durch Zeugenaufrufe und einen Bericht in der Sendung Aktenzeichen XY … ungelöst bis zum 8. Juni rund 160 Hinweise, darunter Videos von der Kirmes, die zur Tatzeit neben Lübckes Anwesen stattgefunden hatte. Am 8. Juni 2019 nahm die Polizei einen Sanitäter fest, der in der Tatnacht Erste Hilfe geleistet hatte, ließ ihn aber wegen fehlender Anhaltspunkte für seine Tatbeteiligung am Folgetag wieder frei.

Am 15. Juni 2019 nahm ein Spezialeinsatzkommando Ernst in seinem Wohnhaus in Kassel fest, weil seine in einer DNA-Analysedatei gespeicherte Probe mit einer DNA-Spur an Lübckes Kleidung übereinstimmte. Er wurde unter dringendem Tatverdacht in Untersuchungshaft in die Justizvollzugsanstalt Kassel I gebracht. Er machte zunächst keine Aussagen.

Laut einer Zeugenaussage entfernten sich in der Tatnacht nach einem Schussgeräusch zwei Autos schnell vom Tatort. Eins davon beschrieb der Zeuge als VW Caddy. Ernst fuhr ein solches Modell, das auf den Namen seiner Ehefrau zugelassen war. Zudem fand man in seiner Wohnung den Schlüssel für einen weiteren Pkw, den er am Mordtag verkauft haben will. Daher vermuteten die Ermittler Mittäter. Der zweite Pkw, ein Škoda Auto, wurde Ende Juni 2019 in Kassel-Forstfeld rund einen Kilometer von Ernsts Wohnung entfernt gefunden und sichergestellt. Er hatte ein Thüringer Kennzeichen und soll auf den Namen von Ernsts Schwiegervater zugelassen sein. Ernst soll den Pkw kurz vor der Tatnacht übernommen haben.

Ernst wohnte in Kassel rund einen Kilometer von der 2015 eingerichteten Erstaufnahmeeinrichtung, zwei Kilometer vom Bürgerhaus Lohfelden entfernt. Laut Ermittlern empörte er sich danach in einem Chat über Lübcke und nannte ihn „Volksverräter“. In seinen Handydaten fanden die Ermittler zahlreiche Hasskommentare, darunter Drohungen auf YouTube („Entweder diese Regierung dankt in kürze ab oder es wird Tote geben“; „Schluss mit Reden es gibt tausend Gründe zu handeln und nur noch einen 'nichts' zu tun, Feigheit“). Er war Mitglied des Schützenclubs Sandershausen in Niestetal bei Kassel, hatte dort aber nach Angaben des Vereinsvorsitzenden keinen Zugang zu Schusswaffen. In Ernsts Wohnung fand die Polizei eine Schreckschusspistole und Unterlagen, wonach er eine Erlaubnis zum legalen Waffenbesitz anstrebte. Wegen eines möglichen rechtsterroristischen Tathintergrunds übernahm ab 17. Juni 2019 der Generalbundesanwalt die Ermittlungen.

Am 25. Juni 2019 legte Ernst im Polizeipräsidium Kassel überraschend ein Geständnis ab: Er sei bei jener Bürgerversammlung am 14. Oktober 2015 in Lohfelden gewesen. Lübckes Aussage dort habe ihn „die ganze Zeit“ beschäftigt und sei ein wesentlicher Grund seiner Tat gewesen. In Chats mit anderen Rechtsextremisten sah er darin einen Beleg, das deutsche Volk solle durch Ausländer ersetzt werden (Umvolkung). Ernst gestand auch, er sei mit einem VW Caddy zum Tatort gefahren, habe die Tat jedoch allein verübt. Generalbundesanwalt Peter Frank informierte den Innenausschuss des Bundestages in einer Sondersitzung über Ernsts Geständnis und die Anklage: Ihm werde Mord aus Heimtücke und niedrigen Beweggründen vorgeworfen, weil er Lübcke auf seiner Terrasse sitzend überrascht und aus rechtsextremem Hass getötet habe. Ernsts Rechtsanwalt Dirk Waldschmidt bestätigte das Geständnis und kündigte an, sein Mandant werde sich eventuell bald öffentlich äußern. Waldschmidt hat viele Rechtsextreme juristisch vertreten, war zeitweise Vizechef der NPD Hessen und Zeugenbegleiter im NSU-Prozess.

Unklar blieb zunächst, wann Ernst beschloss, Lübcke zu töten, und warum er gestand. Denn laut Ermittlern wollte er seine Spuren ursprünglich verwischen, hatte sein Mobiltelefon vor der Tat ausgeschaltet, danach wieder angeschaltet und ein Alibi zu besorgen versucht: Ein Arbeitskollege sollte bei Polizeifragen aussagen, dass er in der Tatnacht mit ihm zusammen gewesen sei. Diese Indizien werteten die Ermittler als Hinweise auf eine konspirativ geplante Tat.

Ernst führte die Polizei am 27. Juni zu einem Erddepot auf dem Firmengelände seines Arbeitgebers. Dort waren fünf Schusswaffen versteckt, darunter die Tatwaffe, die später zweifelsfrei identifiziert wurde, sowie eine Pumpgun und eine Maschinenpistole vom Typ Uzi mit Munition. Er belastete in seinem Geständnis zwei weitere Personen, die die Polizei dann wegen möglicher Beihilfe zum Mord festnahm: Elmar J. aus Höxter, der Ernst 2016 die Tatwaffe verkauft haben soll, und Markus H. aus Kassel, der das Geschäft mit dem Waffenhändler vermittelt haben soll. H. war den Behörden als Rechtsextremist bekannt, J. nicht. Er beschaffte Ernst mehrere Waffen, darunter die Maschinenpistole. Woher sie stammen und wer noch bei Elmar J. Waffen kaufte, wurde ermittelt.

Beide Helfer hatten laut Generalbundesanwalt keine konkrete Kenntnis von Ernsts Tötungsplänen, aber von seiner rechtsextremen Haltung: Sie hätten den möglichen Gebrauch der verkauften Waffen für ein politisch motiviertes Verbrechen billigend in Kauf genommen. Zudem verkaufte Ernst selbst Waffen an zwei Männer im Raum Kassel, die jedoch nicht an seiner Tat beteiligt gewesen sein sollen. Hinweise auf eine rechtsterroristische Vereinigung fanden die Ermittler bis dahin nicht.

Ab dem 25. Juni 2019 untersuchten fünf Staatsanwälte der Bundesanwaltschaft und die auf 80 Personen aufgestockte Sonderkommission des hessischen LKA weiter die gefundenen Asservate, den Tathergang, einen Tatauslöser, eine Verbindung zwischen Täter und Opfer sowie Ernsts mögliche Kontakte zu den rechtsextremen Gruppen „Oidoxie-Streetfighting-Crew“, den „Autonomen Nationalisten“, „Combat 18“, deren Kasseler Teilgruppe „Sturm 18“, sowie Mittätern der 2011 entdeckten Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Laut dem hessischen Innenminister Peter Beuth (CDU) wurden bis dahin keine solchen Kontakte Ernsts nach 2009 gefunden, wohl aber Hinweise auf seine anhaltende rechtsextreme Einstellung. Vermutet wird daher, dass er dem rechtsterroristischen Konzept Führerloser Widerstand folgte oder sich seit der Flüchtlingskrise 2015 erneut radikalisierte.

Am 2. Juli 2019 wurde Ernst dem Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BHG) in Karlsruhe vorgeführt und widerrief dort sein Geständnis. Sein neuer Rechtsanwalt Frank Hannig, ein Mitgründer von Pegida, begleitete ihn. Die Ermittlungen wurden unverändert fortgesetzt.

Laut gemeinsam recherchierten Medienberichten vom 7. Juli war Ernst jener Zwischenrufer auf dem Handyvideo von der Bürgerversammlung in Lohfelden, der nach Lübckes Aussagen „Ich glaub's nicht“ und „verschwinde“ gerufen hatte. In seinem widerrufenen Geständnis soll er ausführlich das Reifen seines Tötungsplans erläutert haben: Nach 2009 habe er sich aus der rechten Szene gelöst und ein normales Leben mit Familie und Beruf führen wollen. Er habe erkannt, dass sein früheres Weltbild falsch gewesen sei. 2013 oder 2014 habe er Markus H. als Leiharbeiter bei der gleichen Bahntechnikfirma, bei der er selbst angestellt war, wiedergetroffen. H. habe ihn bei einem lokalen Schützenverein eingeführt. 2014 habe er H. erstmals gebeten, ihm Feuerwaffen zu besorgen: nicht für einen Mord, sondern um seine Familie vor Ausländerkriminalität zu schützen. 2015 habe ihn H. zu jener Veranstaltung mit Lübcke in Lohfelden mitgenommen. Dann habe er sich jahrelang mit der Idee befasst, Lübcke zu töten, und dessen Wohnanschrift gegoogelt. 2017 und 2018 sei er mit einer Pistole in der Tasche dorthin gefahren, aber jedes Mal froh gewesen, die Tat nicht ausgeführt zu haben. Sein Tötungsplan sei durch die Kölner Silvesternacht 2015/16, den islamistischen Anschlag in Nizza 2016, Videos von weiteren islamistischen Anschlägen und die Ermordung von zwei nordeuropäischen Frauen in Marokko gewachsen. Für all das habe er Lübcke Mitschuld gegeben, aber mit niemand darüber geredet. Schließlich habe er Lübcke wortlos erschossen.

Danach stellte Ernsts Anwalt Frank Hannig Strafanzeige wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat: Die berichteten Details könnten nur aus der Ermittlungsakte stammen und seien offenbar gezielt an die Öffentlichkeit gebracht worden.

Nach einem ballistischen Gutachten, über das Der Spiegel am 16. Juli 2019 berichtete, stammte die für Lübcke tödliche Kugel aus einem kurzläufigen Revolver der brasilianischen Marke Rossi vom Kaliber .38 Special. Dieser lag laut dem LKA Hessen in dem Erddepot, zu dem Ernst die Ermittler geführt hatte. Dies gilt als starkes Indiz dafür, dass er über Wissen verfügte, das nur der mutmaßliche Täter oder ein Tatbeteiligter haben kann.

Am 22. August 2019 lehnte der BGH eine Haftbeschwerde von Markus H. ab, weil er Ernst bestärkt habe, ein Attentat „tatsächlich auszuführen“. Beide hätten sich stark über Lübckes Aussage in Lohfelden 2015 erregt und gemeinsame Schießübungen vollzogen. Auch H. selbst habe nach Aussage seiner früheren Lebensgefährtin ein Selbstmordattentat gegen Ausländer erwogen. Obwohl Ernst seine Mordabsicht gegenüber H. nie erwähnt habe, habe H. „psychische Beihilfe“ zur Tat geleistet, habe mit ihm an rechten Demonstrationen teilgenommen und Fremdenfeindlichkeit ausgetauscht. Der BGH verwehrte Ernsts Anwälten Akteneinsicht zur Aussage der Belastungszeugin. Dagegen erwog Ernsts zweiter Anwalt Björn Clemens eine Verfassungsbeschwerde.

Die Ermittler untersuchten auch nochmals einen ungeklärten Messerangriff eines Unbekannten auf einen irakischen Asylbewerber am 6. Januar 2016 bei der Flüchtlingsunterkunft in Lohfelden. Ernst wohnte 2,5 Kilometer von jenem Tatort entfernt. Am 25. Juli 2019 durchsuchte die Polizei sein Haus erneut, um eine mögliche Verbindung zu jenem Fall zu prüfen. Er war schon 2016 als tatverdächtig polizeilich überprüft worden, jedoch ergebnislos. Eine Überwachungskamera zeigte grobkörnige Videoaufnahmen des Täters, der auf einem Fahrrad floh. Bei der damaligen Hausdurchsuchung waren keine ausreichenden Indizien zur Festnahme Ernsts gefunden worden. Die Staatsanwaltschaft Kassel fand im Juli 2019 keine neuen Spuren. Im September 2019 übernahm die Bundesanwaltschaft auch diese Ermittlungen und gab einen Anfangsverdacht gegen Ernst bekannt. Man gehe auch bei jenem Messerangriff von einem rechtsextremen Tatmotiv und Heimtücke aus.

Im Oktober 2019 untersuchten die Ermittler, ob die Tatwaffe von der rechtsextremen Terrorgruppe „Combat 18 Pinneberg“ stammen könnte. Ernst hatte 2003 an einem Neonazitreffen gegen die Wehrmachtsausstellung in Neumünster teilgenommen, das der damalige Waffenhändler und Leiter von „Combat 18 Pinneberg“ Peter Borchert organisiert hatte. Bei den Mitgliedern der Gruppe stellte die Polizei damals unter anderem vier Rossi-Revolver sicher. Unklar blieb, ob man alle Waffen der Gruppe aufgefunden hatte. Deren Mitglied Bernd T. lebte zuletzt wie Ernst in Nordhessen.

Im Oktober 2019 gab Peter Beuth bekannt, dass der frühere hessische V-Mann Andreas Temme bei seiner Beobachtung der rechtsradikalen Szene in Nordhessen dienstlich mit Stephan Ernst zu tun hatte. Dieser habe aber nicht mit dem Landesamt für Verfassungsschutz zusammengearbeitet. Ein Kontakt Temmes zu Markus H. sei nicht auszuschließen. Temme war beim Mord an Halit Yozgat in Kassel im April 2006 am Tatort anwesend gewesen, hatte darüber zuerst keine und dann falsche Angaben gemacht. Er arbeitet bis heute im Regierungspräsidium Kassel.

Ende November 2019 gab das hessische LKA den Fund einer Liste in Datenträgern von Ernst bekannt. Er habe großenteils von 2001 bis 2007 Informationen über 60 Personen des öffentlichen Lebens, über Rathäuser im Großraum Kassel und weitere Objekte gesammelt. Die aufgelisteten Personen seien informiert worden; Anhaltspunkte für ihre aktuelle konkrete Gefährdung gebe es nicht. Was die Liste mit dem Mord an Lübcke zu tun haben könnte, erklärten die Ermittler nicht. Darauf standen unter anderen Journalisten, die etwa über Demonstrationen der NPD berichtet hatten, die Jüdische Gemeinde Kassel und ein einzelnes Gemeindemitglied.

Im November 2019 räumte Ernst gegenüber Journalisten ein, dass er 2015 bei Lübckes Veranstaltung in Lohfelden war und sich über dessen Aussagen empört hatte. Er belastete Markus H.: Dieser habe „die Waffen ins Spiel“ gebracht, sie „ständig mit politischen Themen“ verknüpft und „sein Umfeld immer aufgestachelt“. Sein Kontakt zu ihm sei „ein entscheidendes Verhängnis“ gewesen. Er kündigte ein neues Geständnis an. Sein Anwalt schloss aus, dass Ernst jede Tatbeteiligung bestreiten werde, behauptete aber ohne Belege, ein zweiter Mann sei bei der Tat anwesend gewesen und diese sei anders als ermittelt verlaufen.

Tatverdächtiger

Herkunft

Stephan Ernst wurde 1973 in Wiesbaden geboren und wuchs ab 1984 im Ortsteil Holzhausen von Hohenstein (Untertaunus) auf. Er ging dort zur Schule und wohnte bis 1999 im Ort. Er soll keinen Kontakt zu Gleichaltrigen und Vereinen gehabt haben. Bereits in den 1980er Jahren fiel er durch ausländerfeindliche Übergriffe auf. Ernst ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebte bis zu seiner Festnahme im Osten von Kassel.

Straftaten

Ernst ist laut dem Bundeszentralregister mehrfach vorbestraft. Einige seiner Straftaten waren ausländerfeindlich und rassistisch motiviert. 1989 legte er ein Feuer im Keller eines überwiegend von türkischen Staatsbürgern bewohnten Hauses in Michelbach (Aarbergen). Im November 1992 griff er in einer öffentlichen Toilette im Wiesbadener Hauptbahnhof einen türkischen Imam mit einem Messer an und verletzte ihn lebensgefährlich. Der Angriff erfolgte erst von hinten und dann von vorn. Vor Gericht gab Ernst an, er habe sich sexuell belästigt gefühlt und es „als besonders belastend empfunden, dass es sich bei dem Zeugen […] erkennbar um einen Ausländer handelte“. Er wurde wegen versuchten Totschlags auf Bewährung verurteilt. 1993 verurteilte ihn das Amtsgericht Wiesbaden wegen Diebstahls zu einer Jugendstrafe von zehn Monaten auf Bewährung.

Im selben Jahr griff er eine Asylbewerberunterkunft in Hohenstein-Steckenroth mit einer selbstgebauten Rohrbombe an, die er auf den Rücksitz eines Pkw legte, den er dann zwischen den Wohncontainern anzündete. Die Bewohner löschten den Brand rechtzeitig, bevor die Bombe detonierte. In der Untersuchungshaft schlug Ernst mit einem Stuhlbein auf einen ausländischen Mitgefangenen ein. Das Landgericht Wiesbaden wertete die Ausgangstat als das „versuchte Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion“. 1995 verurteilte es Ernst dafür sowie wegen des Angriffs von 1992 und der Verletzung des Mithäftlings 1994 zu insgesamt sechs Jahren Jugendstrafe.

2003 beging Ernst laut Ermittlungsakte einen gemeinschaftlichen Totschlag in Kassel und mehrere Verstöße gegen das Waffen- und Versammlungsgesetz. 2003 und 2005 erhielt Ernst Geldstrafen für zwei Körperverletzungen, 2004 für eine Beleidigung, 2006 für den Besitz eines „verbotenen Gegenstands“. Am 1. Mai 2009 griff er mit rund 400 Neonazis Teilnehmer einer DGB-Kundgebung in Dortmund mit Steinen, Holzstangen und Fäusten an. Dafür erhielt er eine siebenmonatige Haftstrafe auf Bewährung. Weitere Strafverfahren wegen Brandstiftung, Totschlag, gefährlicher Körperverletzung und Raub wurden mangels Indizien eingestellt, das letzte 2004.

Bezüge zu Neonazis und zur AfD

Bis zu seiner Festnahme im Dezember 1993 hatte Ernst seine ausländerfeindlichen Straftaten als Einzeltäter verübt. Während seiner Haft in den Jahren nach 1995 las er die rechtsextreme Zeitschrift Nation und Europa. Nach seiner Haftentlassung Ende 1999 fand er sofort Anschluss an die rechtsextreme Szene im Raum Kassel. Vermutet wird, dass sein Schwiegervater ihm diese Kontakte vermittelte. Ein auf diesen zugelassener Pkw wurde laut Sicherheitsbehörden von 2000 bis 2004 öfter bei rechtsextremen Veranstaltungen registriert, darunter Treffen der Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige (HNG).

Von 2000 bis 2004 war Ernst Mitglied der NPD. Nach Angaben eines NPD-Sprechers war er „für wenige Monate“ Mitglied im NPD-Kreisverband Kassel und wurde 2004 wegen nicht gezahlter Mitgliedsbeiträge aus der Mitgliederkartei gelöscht. Weitere Kontakte mit ihm bestritt die NPD.

Laut der antifaschistischen Recherche-Plattform „Exif“ hatte Ernst 2002 in Kassel Kontakt mit Stanley Röske, heute ein führendes Mitglied der deutschen Sektion der Neonaziorganisation „Combat 18“. Ernst wurde damals von einem Szeneaussteiger als „sehr gefährlicher Typ“ beschrieben. Er soll nach Recherchen von Exif damals auch mit Michel Friedrich von der Oidoxie-Steetfighting-Crew Kontakt gehabt haben, die sich als deutscher Arm von „Combat 18“ zu etablieren versuchte. Friedrich gehörte zur „Hardcore Crew Kassel“ und räumte im NSU-Prozess einen Kontakt mit Uwe Böhnhardt ein. Er behauptete, er sei aus der Szene ausgestiegen und habe Ernst seit 2010 nicht mehr gesehen.

Im August 2002 nahm Ernst mit Mike Sawallich, dem damaligen Chef der hessischen Jungen Nationalisten (JN), an politischen Aktionen teil, aber ohne Führungsrolle. 2004 demonstrierte er mit dem neonazistischen „Volkstreuen Komitee für gute Ratschläge“ in Gladenbach. Dabei wurde er zusammen mit mehreren Anhängern der gewaltbereiten Neonazigruppe Blood and Honour polizeilich überprüft. Am 6. Februar 2007 demonstrierte Ernst mit Mike Sawallich und anderen Neonazis in Kassel gegen eine DGB-Veranstaltung zum Thema „Alte und neue Strategien der extremen Rechten“. Ernst trug dabei ein Schild mit der Aufschrift „Schluß mit der Verteufelung deutscher Patrioten“, provozierte Muslime unter den Gegendemonstranten und löste so die folgende Schlägerei mit aus. Mike Sawallich postete am 21. Juni 2019 auf Facebook ein Jugendfoto, das ihn Arm in Arm mit Ernst zeigt, und nannte ihn „der beste Kamerad“. Darum halten Ermittler aktuelle Kontakte Ernsts zu hessischen Neonazis für möglich, die ihrerseits Kontakte zum Umfeld des NSU hatten oder haben.

Ab 2010 baute sich Ernst eine bürgerliche Existenz mit Familie, Eigenheim und Schichtarbeit in einer Fabrik auf, ohne seine fortbestehende rechtsextreme Einstellung nach außen zu zeigen. Er arbeitete zuletzt bei einem Kasseler Bahntechnikhersteller und war Bogenschütze im Schützenverein. Gleichzeitig soll er unter dem Alias „Game Over“ im Internet Hasskommentare verfasst haben.

Wie später bekannt wurde, war Ernst bis 2011 Mitglied der rechtsextremen Gruppe „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“. Er kann an deren jährlichen Treffen im thüringischen Ilfeld zur „Sommersonnenwende“ teilgenommen und dort Personen des NSU-Umfelds getroffen haben. Die Artgemeinschaft schloss ihn 2011 aus, weil er seine Mitgliedsbeiträge nicht mehr bezahlt hatte.

Laut dem NDR-Magazin Panorama gehörte Ernst bis mindestens 2011 zur Neonazigruppe „Freier Widerstand Kassel“. Möglich sind auch Kontakte zu führenden Mitgliedern der rechtsterroristischen Oldschool Society und zum gewalttätigen „Sturm 18 Cassel“, wo Ermittler 2015 mehrere Waffen sicherstellten.

Laut Medienberichten überwies Ernst im Dezember 2016 150 Euro an die AfD mit dem Verwendungszweck „Wahlkampfspende 2016 Gott segne euch“. Die Bundespartei verbuchte den Betrag mit Name und Anschrift des Spenders, gab aber keine Auskunft dazu. Die AfD Thüringen, für die der Betrag bestimmt gewesen sein soll, bestritt den Erhalt.

Stephan Ernst und Markus H. nahmen wahrscheinlich am 1. September 2018 in Chemnitz am „Trauermarsch“ der rechtsextremen Gruppe Pro Chemnitz teil. Aus diesem Aufmarsch heraus waren Journalisten, Flüchtlinge und Polizei angegriffen worden, bis diese die angemeldete Versammlung auflöste. Die Versammlungsteilnehmer schlossen sich daraufhin teilweise dem von der AfD organisierten Trauermarsch an. Fotografien machen die Teilnahme von Ernst und Markus H. wahrscheinlich.

Ob Ernst im März 2019 an einem Neonazitreffen mit Mitgliedern von „Combat 18“ in Mücka teilnahm und auf einer Fotografie davon zu sehen ist, ist ungewiss. Ein forensischer Gutachter für das Fernsehmagazin Monitor sah die Identität als erwiesen an, ein weiterer Gutachter bestritt dies.

Mögliche Helfer

Der Waffenbeschaffer Markus H. stammt aus derselben Gegend in Thüringen wie der NSU und war wie dessen Mitglieder seit 1990 aktiver Rechtsextremist, unter anderem bei der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP; 1995 verboten) und der HNG (2011 verboten). Er war am 12. Juni 2006 als Zeuge zum Mord an Halit Yozgat polizeilich befragt worden, hatte ausgesagt, das Mordopfer flüchtig zu kennen, und ein Alibi genannt. Daraufhin hatten die Ermittler die Spur als erledigt vermerkt, ohne auf H.s rechtsextreme Haltung hinzuweisen. Er nahm mit Ernsts engem Freund Mike Sawallich am 14. Februar 2009 in Dresden an einem „Trauermarsch“ von rund 6.000 Neonazis zum Jahrestag der Luftangriffe auf Dresden teil. Am 1. Mai 2009 beteiligte er sich mit Ernst am Angriff auf eine DGB-Kundgebung und wurde deshalb ebenfalls festgenommen, aber nicht verurteilt. 2009 soll H. unter dem Pseudonym „Stadtreiniger“ Hasskommentare auf den Internetseiten einer Lokalzeitung verbreitet haben.

Der hessische Verfassungsschutz führte Markus H. und Stephan Ernst 2015 als gewaltbereite Rechtsextreme; H. war zudem als Anhänger der rechtsextremen Gruppe „Freier Widerstand Kassel“ eingetragen. H. gehörte wie Ernst zum Schützenclub Sandershausen und trainierte dort nach Aussage des Vereinsvorsitzenden ebenfalls Bogenschießen, aber auch mit Feuerwaffen. Wegen seiner Vorgeschichte und weil er Ernst ab 2014 beim Anlegen eines Waffenlagers half, wird vermutet, dass beide zu einer Unterstützerzelle des NSU in Kassel gehörten. Diese war im NSU-Prozess nicht aufgedeckt worden.

Elmar J. war den Behörden bis dahin unbekannt. Er soll auf seiner Facebookseite Sympathie für die NPD bekundet haben. Die Ermittler fanden Hinweise auf eine rechte Gesinnung, nicht aber politisch motivierte Straftaten. Auch der Verfassungsschutz soll Elmar J. nicht bemerkt haben.

Markus H. besaß drei Kurz- und zwei Langwaffen legal, nachdem das Verwaltungsgericht Kassel ihm nach jahrelangem Rechtsstreit 2015 eine Waffenbesitzkarte mit Munitionsberechtigung zusprach. 2007 hatte die Stadtverwaltung Kassel ihm eine Waffenbesitzkarte verweigert, weil das Amtsgericht Kassel ihn 2006 wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe verurteilt hatte. Auch 2012 lehnte die Stadtverwaltung H.s erneuten Antrag auf eine Waffenbesitzkarte ab, weil er nach Auskunft des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) 2008 an einer NPD-Demonstration teilgenommen hatte, 2009 wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch festgenommen worden war und sich unter dem Pseudonym „Stadtreiniger“ in rechtsextremen Foren geäußert hatte. Das LfV lieferte der Stadtverwaltung jedoch keine Informationen über H.s rechtsextreme Aktivitäten seit 2009, etwa über seine aktive Mitgliedschaft in der Neonazigruppe „Freier Widerstand Kassel“. Weil die vom LfV vorgelegten Informationen älter als fünf Jahre waren, begründeten sie nach dem Waffengesetz kein Waffenverbot mehr. Das Verwaltungsgericht Kassel gab H.s Klage gegen die Stadtverwaltung daher im März 2015 statt.

Schon 2011 hatte die Stadt Kassel Markus H. eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ nach dem Sprengstoffgesetz ausgestellt, mit der er den Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen in Lehrgängen erlernen durfte. Er ließ sich in Kasseler Schützenvereinen zum Sportschützen ausbilden und legte 2012 eine Sachkundeprüfung ab. Laut einer Zeugenaussage aus H.s Umfeld übte er in verschiedenen Schützenvereinen das Schießen mit eigenen, scharfen Waffen und lieh diese auch Stephan Ernst zum Üben. Ernst sei ein „guter Schütze“ gewesen.

Nach Anwesenheitslisten der Schützengesellschaft zu Grebenstein trainierte Ernst vom Herbst 2016 bis 23. Oktober 2018 mindestens fünfmal das Schießen mit den scharfen Waffen von Markus H.; dieser schoss dort mehr als 30 Mal. Die behördlich nicht registrierte Reservistenkameradschaft „SSG Germania Cassel“, der Markus H. angehörte, hatte den Schießstand einmal im Monat gemietet. So konnte Ernst trotz des ihm fehlenden Waffenscheins legal den Umgang mit schweren Schusswaffen üben. Im selben Zeitraum radikalisierte er sich laut den Ermittlungen erneut politisch nach rechts.

In der Wohnung von Markus H. fanden die Ermittler ein Buch des rechtsextremen Autors und Pegida-Redners Akif Pirinçci, in dem Lübckes Name mit einem Textmarker gelb markiert worden war. Laut Auskunft des Bundesinnenministeriums (BMI) auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Martina Renner stellte die Polizei vom 8. Juni bis 19. Juli 2019 bei 21 Durchsuchungen der drei Tatverdächtigen 46 Schusswaffen sicher. Welcher Art diese sind und welche der drei Personen welche Waffen besaß, gab das BMI nicht bekannt. Nach Recherchen des Spiegel gehörten mehr als 37 der gefundenen Waffen Markus H., die übrigen Stephan Ernst. Elmar J. besaß keine davon.

Kenntnisse der Sicherheitsbehörden

Bis 2009 wurde Ernst in einem internen Vermerk des hessischen Verfassungsschutzes als gefährlich eingestuft. Auch in der Rechtsextremismusdatei des Bundeskriminalamts, auf die Polizei und Nachrichtendienste gemeinsam Zugriff haben, stand er damals. Nach Angaben von Innenminister Peter Beuth hatte Ernst bis 2009 insgesamt 37 Einträge im polizeilichen Informationssystem POLAS.

Nach 2009 soll Ernst keine weiteren Straftaten mehr begangen haben, wurde nicht mehr als rechtsextremer Gefährder eingestuft und laut Angaben aus Sicherheitsbehörden weder durch Polizei noch Verfassungsschutz beobachtet. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) führte laut seinem Chef Thomas Haldenwang keine Personalakte mehr über ihn. Jedoch vermerkte das BfV Ernsts Ausschluss aus der „Artgemeinschaft“ in einem Eintrag.

Im Februar 2016 befragte der NSU-Untersuchungsausschuss Hessen einen V-Mann zu Ernst und seinen Kontakten zu anderen Rechtsextremen. Der Befragte kannte ihn nur unter dem Spitznamen „NPD-Stephan“ und machte keine näheren Angaben zu ihm, so dass Ernst nicht zum Umfeld des NSU gezählt wurde. Der V-Mann wurde von dem Verfassungsschützer Andreas Temme geführt, der sich am 6. April 2006 in Kassel am Tatort des Mordes an Halit Yozgat aufgehalten hatte und zeitweise unter Mordverdacht stand.

Der hessische Verfassungsschutz gab das Protokoll der V-Mann-Befragung von 2016 und seine Kenntnisse von möglichen Kontakten Ernsts bisher nicht frei. Ernsts Akte im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) wurde aus rechtlichen Gründen („Löschmoratorium“) für Ermittlungsbehörden gesperrt, aber nicht gelöscht. Nach Kritik sollte die 120-Jahre-Sperrfrist für die Akte über NSU-Kontakte von hessischen Rechtsextremisten verkürzt werden.

Bei den Ermittlungen zum Fall Lübcke befragten die Verfassungsschutzämter bundesweit alle aktiven, eventuell auch ehemalige V-Leute im Bereich Rechtsextremismus zu Ernsts Aktivitäten seit 2009. Thomas Haldenwang betonte: Obwohl Ernst von 2009 an den Behörden nicht mehr aufgefallen sei, sei der Mord an Lübcke nicht überraschend, weil jeder zweite Rechtsextremist als gewaltorientiert eingestuft werde. Ernst sei kein V-Mann gewesen; V-Leute in seinem Umfeld würden weiter befragt.

Die Linke in Hessen will Innenminister Beuth im Innenausschuss am 22. August 2019 zu den Kenntnissen der Sicherheitsbehörden befragen: warum der hessische Verfassungsschutz Ernst seit 2009 nicht mehr als gewaltbereiten Neonazi und Gefährder eingestuft hatte, obwohl er bis mindestens 2011 im „Freien Widerstand Kassel“ aktiv war und danach im Neonazi-Milieu mit Waffen gehandelt hatte; ob die Sicherheitsbehörden Markus H. als gewaltbereiten Neonazi eingestuft hatten; ob der hessische Verfassungsschutz eine eigene Akte über ihn führte; ob Markus H. nach dem NSU-Mord an Halit Yozgat 2006 als möglicher Tatbeteiligter polizeilich verhört wurde; ob er dabei eine Bekanntschaft mit dem Opfer andeutete; ob eine rechtsradikale Gesinnung oder politische Straftaten des mutmaßlichen Waffenhändlers Elmar J. bekannt wurden.

Die Experten Malte Lantzsch vom „Mobilen Beratungsteam gegen Rechtextremismus und Rassismus“ in Kassel und Adrian Gabriel (Die Linke Hessen) sehen schwere Versäumnisse der hessischen Polizei: Schon beim NSU-Mord an Halit Yozgat 2006 habe sie viele ihr bekannte Hinweise auf Waffen, Sprengstoff und rechtsterroristische Strukturen nicht weiterverfolgt. Das habe der hessische NSU-Untersuchungsausschuss herausgefunden. Aktive Neonazis aus dem Umfeld der früheren FAP, von Blood and Honour, Combat 18, Freier Widerstand Kassel, Kameradschaft Kassel und Sturm 18 hätten ihre Kontakte gehalten und seien im derzeitigen Gesellschaftsklima wieder zu Gewalt motiviert. Diese Szene habe den Mord an Lübcke unterstützt. Im Raum Kassel aktive Combat-18-Mitglieder, wie Stanley Röske, seien extrem gefährlich, weil sie „führerlosen Widerstand“ ausriefen oder propagierten. Thorsten Heise (NPD), der sich vom Mord an Lübcke distanziert hatte, kenne die aktiven Kasseler Neonazis und habe Kontakt zur Kasseler Hooligan-Szene.

Im August 2019 bestätigte die hessische Polizei Spiegel-Recherchen, dass sie Ernst und andere Rechtsextremisten im Januar 2016 auf freiwilliger Basis zu einem eventuell politisch motivierten Messerangriff auf einen irakischen Flüchtling in Lohfelden befragt, sein Alibi geprüft und ein Fahrrad als mögliches Fluchtfahrzeug untersucht hatte. Da die Prüfung keine Anhaltspunkte einer Tatbeteiligung ergab, hatte die Polizei damals kein formelles Ermittlungsverfahren eingeleitet. Von der früheren Befragung erfuhr die Staatsanwaltschaft Kassel erst im Juli 2019, als sie erneut wegen jener Messerattacke gegen Ernst ermittelte.

Nach Eigenangaben vom August 2019 besaß das hessische LfV auch nach 2009 Kenntnisse über Markus H., die jedoch nicht „gerichtsverwertbar“ gewesen seien und nicht „als Beweismittel offengelegt werden“ konnten. Unklar ist, ob das LfV damit seine Quellen schützen wollte oder Markus H. nach 2009 nicht mehr beobachtete. Ein übliches Behördenzeugnis ohne Quellenangaben stellte das LfV im Fall von Markus H. auf Nachfragen der städtischen Waffenbehörde und des Verwaltungsgerichts Kassel nicht aus.

Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden, das einer Klage der Zeitung Die Welt stattgab, musste der hessische Verfassungsschutz im September 2019 bekanntgeben, wie oft Stephan Ernst in einem geheimen Bericht über mögliche rechtsradikale Unterstützer des NSU erwähnt wird. In der Erstfassung von 2013 taucht Ernst elf Mal auf, in der letzten von 2014 kein Mal. Kassels Neonaziszene steht im Zentrum des Berichts. Dies zog Thomas Haldenwangs Behauptung in Zweifel, der Verfassungsschutz habe Ernst ab 2009 nicht mehr beobachtet. Unklar blieb, ob der Bericht nur länger zurückliegende Straftaten Ernsts oder auch neuere Vorgänge erwähnt, etwa seinen erneuten engen Kontakt zu Markus H., seine Radikalisierung und Versuche, sich mit Hilfe von Kasseler Neonazis illegale Waffen für rassistische Anschläge zu besorgen.

Die Erkenntnisse über gemeinsame Aktivitäten von Stephan Ernst und Markus H. bei rechtsextremen Veranstaltungen seit 2009 veranlassten Kritik an Innenminister Horst Seehofer und Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang. Dieser hatte erwogen, Ernst als „Schläfer“ einzustufen. Dagegen stellte die Rechercheplattform Exif fest: „Ernst war kein Schläfer, sondern ein durch und durch gewalttätiger Neonazi, der jederzeit für die Behörden greifbar war. Nun muss geklärt werden, ob der Verfassungsschutz […] die Öffentlichkeit und Politik erneut bewusst desinformiert haben oder wie es sein kann, dass sie bei dem immensen Personal- und Geldaufkommen die Aktivitäten von Ernst und Hartmann nicht beobachteten.“

Reaktionen

Hasskommentare und Drohungen

In sozialen Medien äußerten Rechtsextreme und Rechtspopulisten vielfach offen Freude über Lübckes Erschießung, beleidigten und verhöhnten den Getöteten und kündigten weitere Morde an. Das Video mit Lübckes Zitat von 2015 wurde erneut verbreitet und kommentiert. Ein Post lautete: „Der Volksschädling wurde jetzt hingerichtet.“ Journalisten dokumentierten nun auch frühere derartige Kommentare. Bis zum 24. Juni 2019 löschte Facebook laut Nick Clegg jede Verherrlichung des Mordes an Lübcke von seinen Seiten. Die Internetplattform YouTube hatte bis August 2019 noch nicht alle Hasskommentaren unter dem Lohfelden-Video gelöscht, einige Beschwerden dazu abgelehnt, andere nicht fristgerecht beantwortet, und neue Hasskommentare zugelassen.

Max Otte, Mitglied der CDU und der CDU-nahen Werteunion, schrieb im Juni 2019 auf Twitter, der „#Mainstream“ habe endlich eine „neue NSU-Affäre“, um gegen die „rechte Szene, was immer das ist“, zu hetzen. Nach heftigen Protesten löschte er seinen Tweet. Wegen diesem bat die Werteunion die CDU-Führung, Ottes Parteiausschluss zu prüfen. Der AfD-Kreisvorsitzende im Kreis Dithmarschen Mario Reschke bezweifelte einen Mord an Lübcke, verglich dessen Tod zuerst mit dem mutmaßlichen Suizid des FDP-Politikers Jürgen Möllemann (2003) und sprach dann von „gezieltem Rufmord“, nach dem „der Betreffende“ „einfach mal tot“ aufwache. Aufrufe, den Kommentar zu löschen und sein Mandat niederzulegen, wies er zurück. Am 26. Juni blieb Ralph Müller (AfD) beim Gedenken für Lübcke im Bayerischen Landtag sitzen. Am 27. Juni nannte Wolfgang Gedeon (AfD) den rechtsextremen Terror einen „Vogelschiss“ im Vergleich zu islamistischem und linksextremem Terror in Deutschland. Andere AfD-Vertreter verteidigten die Vorfälle.

Am 5. Juni 2019, als der Hauptverdächtige Stephan Ernst noch unbekannt war, erhielt die Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz einen Drohbrief per Fax mit der sinngemäßen Aussage: „Wir haben Walter Lübcke getötet. Bald bist Du dran!“ Der Brief war wie fünf frühere derartige Drohungen mit NSU 2.0 unterzeichnet, diesmal zusätzlich mit „Prinz Eugen SSOSTUBAF“. Die Abkürzung steht wahrscheinlich für SS-Obersturmbannführer und für die 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division „Prinz Eugen“, die im Zweiten Weltkrieg in Jugoslawien viele Kriegsverbrechen beging. Ob der oder die Verfasser Täterwissen und Kontakte zur rechtsextremen Szene in Kassel haben oder als Trittbrettfahrer Angst verbreiten wollen, geht daraus nicht hervor. Am 10. Juli 2019 erhielt die Anwältin das bisher letzte Droh-Fax aus dem Darknet, erneut mit einem Mordaufruf und unterzeichnet mit „Sieg Heil und Heil Hitler! Mit freundlichen Grüßen Die Musiker des Staatsstreichorchesters“. Die Kasseler Staatsanwaltschaft gab bisher keine Auskunft zum Stand der Ermittlungen dazu.

Am 18. Juni 2019 erhielten die Kommunalpolitiker Henriette Reker und Andreas Hollstein, die rechtsextreme Attentate auf sich überlebt hatten, gleichlautende E-Mails eines anonymen Erpressers. Er forderte 100 Millionen Euro in Bitcoins und drohte, andernfalls werde man sie und weitere Politiker „hinrichten“ lassen. Mit Lübcke sei eine „Phase bevorstehender Säuberungen“ eingeleitet worden. Er schloss mit dem Hitlergruß.

Am 28. Juni schrieben Unbekannte in Berlin-Mitte den Hetzspruch „Lübcke hat bezahlt, Merkel noch nicht“ auf eine Baustellenplane. Der Staatsschutz ermittelt dazu. Am 29. Juni sandten Unbekannte dem SPD-Politiker Martin Dulig den täuschend echten Nachbau eines Sturmgewehrs per Post. Dies wurde weithin als symbolische Morddrohung verstanden, weil Duligs Engagement für Flüchtlinge bekannt ist. Zudem griffen Neonazis Duligs Sohn an. Die rechtsextreme Gruppe Nordkreuz aus Mecklenburg-Vorpommern wollte Leichensäcke und Ätzkalk für Angriffe auf politische Gegner bestellen. Auf einer Internetseite wurden prominente Flüchtlingshelfer angeprangert und bedroht, bis das Landeskriminalamt Berlin die Seite sperrte.

Am 28. Juni erschien im Internet ein als echt eingestuftes Video von „Combat 18“. Darin bestreitet eine mit Sturmhaube, Handschuhen und dunkler Kleidung verhüllte Person Kontakte von Ernst zur Gruppe. Medienberichte dazu seien falsch. Die Rechercheplattform Exif identifizierte den vermummten Sprecher als bekannten Rechtsextremisten aus Dortmund. Demnach würde es sich um einen Brieffreund der NSU-Terroristin Beate Zschäpe handeln, der 2007 wegen eines Raubüberfalls auf einen Tunesier verurteilt wurde. Ab Juli 2019 erhielten mehrere Journalisten, die zum Mordfall Lübcke und zur rechtsextremen Szene recherchieren, anonyme Drohbriefe mit weißem Backpulver. Vermutet wird, dass Combat 18 diese Briefe versandte.

Siemens-Chef Joe Kaeser hatte sich öffentlich für die Seenotrettung Geflüchteter und gegen rassistische Äußerungen der AfD-Politikerin Alice Weidel positioniert. Im Juli 2019 erhielt er eine Morddrohung per E-Mail: Er werde „der nächste Lübcke“ werden. Die Absenderadresse lautete „[email protected]“ und war den Behörden schon aus einem anderen Fall bekannt.

Im September 2019 erhielt Mike Mohring (Fraktions- und Parteichef der CDU Thüringen) eine handschriftlich verfasste Postkarte mit einer Morddrohung, die auf Lübcke anspielt: Er sei „Nummer zwei, die demnächst einen Kopfschuss“ erhalte. Der anonyme Absender beschimpfte ihn zudem wegen seiner christlichen Haltung und bezeichnete die Bundesrepublik als Unrechtsstaat. Daher vermutet das ermittelnde Landeskriminalamt Thüringen einen „Reichsbürger“ als Autor. Mohring, Spitzenkandidat der Landes-CDU für die bevorstehende Landtagswahl, erhielt verstärkten Polizeischutz. In einer aktuellen Stunde des Landtags lobten CDU-Vertreter eine Hotline für bedrohte Kommunalpolitiker. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) forderte erneut, das Strafmaß bei übler Nachrede gegen Kommunalpolitiker zu erhöhen. Der Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke sieht ein neues Ausmaß rechtsmotivierter Angriffe, besonders auf Kommunalpolitiker. Es sei praktisch unmöglich, allen Personenschutz zu gewähren.

Infolge des Mordfalls wurde bekannt, dass viele Lokalpolitiker in Deutschland seit 2015 wie Lübcke von Rechtsextremen bedroht werden. Laut einer Umfrage des Magazins „Kommunal“ unter rund 1000 deutschen Bürgermeistern hatten rund 40 % der Kommunalverwaltungen bereits mit Stalking, Beschimpfungen und Drohungen zu tun, davon rund 20 % durch Hassmails. 7,8 % der Befragten (2017: ~6 %) gaben an, sie selbst oder andere Gemeinderatsmitglieder seien körperlich angegriffen worden. 40 % der Gemeinderäte und 20% der Bürgermeister zeigten 2018 Beleidigungen, Drohungen und Gewalt an; mehr als 1200 Straftaten gegen Amtsträger wurden aktenkundig. Bei einem Empfang im Juli 2019 berichteten 13 Bürgermeister dem Bundespräsidenten von solchen Erfahrungen. Leipzigs Bürgermeister Burkhard Jung betonte, die erstarkende Rechte verbreite „planvoll“ Angst und plane strategisch den Umbau des Staats. Diese Gefahr werde immer noch zu wenig beachtet. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) forderte zentrale Meldestellen für die Betroffenen und eine zentralisierte Strafverfolgung.

Politik

Nach dem Mord an Lübcke verurteilten viele hochrangige Politiker die Hasskommentare gegen ihn. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte sie am 5. Juni „zynisch, geschmacklos, abscheulich, in jeder Hinsicht widerwärtig“. Nach der Festnahme des mutmaßlichen Täters ergänzte er: „Wo die Sprache verroht, ist die Straftat nicht weit.“

Bundesjustizministerin Katarina Barley begrüßte, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen hatte. Als „Lehre aus der Mordserie des NSU“ würden heute auch rechtsextreme Motive von Straftaten viel früher und intensiver geprüft. Der Staat müsse zivilgesellschaftlich engagierte Personen stärker gegen Einschüchterungen und Bedrohungen schützen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer wertete den Mord als „Alarmsignal“: „Der Rechtsextremismus ist eine erhebliche und ernstzunehmende Gefahr für unsere freie Gesellschaft.“

Der frühere CDU-Generalsekretär Peter Tauber meinte, die AfD habe „mit der Entgrenzung der Sprache den Weg bereitet für die Entgrenzung der Gewalt“. Er nannte namentlich: „Erika Steinbach, einst eine Dame mit Bildung und Stil, demonstriert diese Selbstradikalisierung jeden Tag auf Twitter. Sie ist ebenso wie die Höckes, Ottes und Weidels durch eine Sprache, die enthemmt und zur Gewalt führt, mitschuldig am Tod Walter Lübckes.“ Im Februar 2019 hatte die aus der CDU ausgetretene, AfD-nahe Erika Steinbach Lübckes Aussagen von 2015 in sozialen Medien erneut skandalisiert, aber Todesdrohungen darunter bis nach dem Mord stehen lassen. Wegen der rechtsextremen Mordanschläge auf Staatsvertreter forderte Tauber, die Grundrechtsverwirkung nach Artikel 18 GG erstmals anzuwenden und verfassungsfeindliche Beamte zu entlassen, um den Staat und seine Organe im Sinne der „wehrhaften Demokratie“ zu schützen. Die CDU müsse gegen Befürworter einer CDU-AfD-Koalition eine klare Grenze nach rechts ziehen. Er zitierte den Weimarer Reichskanzler Joseph Wirth, der 1922 nach der Ermordung von Walther Rathenau im Reichstag an die Adresse der Mordhetzer gesagt hatte: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!“

Auch die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer machte die AfD für das geistige Klima mitverantwortlich, in dem Lübcke ermordet wurde. Sie schloss eine Zusammenarbeit mit der AfD auch gegen AfD-nahe CDU-Mitglieder dauerhaft aus: Wer sich das Mordopfer vorstelle, werde „nie mehr auf die Idee kommen, dass man mit einer Partei wie der AfD als Christdemokrat zusammenarbeiten kann“.

Mit Hinweis auf 226 rechtsextreme Morde in der Bundesrepublik seit 1970 forderte Ex-CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz seine Partei auf, sich wie Lübcke klar für Humanität einzusetzen und ihren Konservatismus gegen völkischen Nationalismus abzugrenzen, etwa mit der Parole „Freiheit statt Faschismus“.

Michael Brand, Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Menschenrechte und ein Freund Lübckes, mahnte die Unionsparteien, „mit wehrhafter Haltung und kämpferischem Einsatz“ gegen die AfD und das Sympathisantenumfeld rechtsextremen Terrors für die Stabilität der Demokratie einzutreten. Das „Abdriften von Teilen der gesellschaftlichen Mitte an die Ränder“ lasse sich nicht dadurch stoppen, „dass wir den Parolen der Ränder folgen. Damit verstärken wir sie nur.“ Die Demokraten hätten sich zu wenig gegen das „immer aggressivere Hetzen gegen die offene Gesellschaft und den demokratischen Rechtsstaat“ gewehrt. Das „Aufrütteln der bislang schweigenden Mehrheit“ sei zwingend geboten: „Die Zeiten für nicht mehr erkennbare Haltung sind, zumal nach diesem Mord, endgültig vorbei.“

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble sagte im Bundestag, dass Lübcke „öffentlich für das eintrat, worauf unsere offene Gesellschaft aufbaut: für Anstand, Toleranz und Menschlichkeit.“ Er kritisierte „die Abgründe an Häme und Hass inmitten unserer Gesellschaft gegenüber denen, die in unserem Land Verantwortung übernehmen“, und bezeichnete die Hetze als Nährboden für die Gewalt: „Wer diesen Nährboden düngt, macht sich mitschuldig. Das sollte jetzt auch der letzte verstanden haben.“ Er erhielt anhaltenden Applaus aus allen Fraktionen außer der der AfD.

Am 27. Juni warf Martin Hess (AfD) im Bundestag den übrigen Parteien vor, das Gedenken an Lübcke zum Hetzen gegen die AfD zu „missbrauchen“. Er rief zu „verbaler Abrüstung“ auf und sprach von einem „Vernichtungsfeldzug“ gegen die AfD.

Medien

Nach der Festnahme des rechtsextremen Tatverdächtigen verglichen Journalisten den Mord an Lübcke mit der Mordserie des NSU (2000–2007), dem Attentat auf Henriette Reker (2015) und dem Anschlag auf Andreas Hollstein (2017). Annette Ramelsberger (SZ) sprach von einer „braunen RAF“, die nicht straff organisiert sei, aber zuschlage, wo immer möglich. Eine laute, menschenverachtende Sympathisantenszene unterstütze solche Taten. Ihr Hass sickere „vom Rand in die Mitte der Gesellschaft“, auch in die Polizei. Wegen ihrer langen Duldung der Ausschreitungen in Chemnitz 2018 und der mit „NSU 2.0“ unterzeichneten Drohbriefe von Polizisten sähen rechtsextreme Gewalttäter sie kaum als Gegner, sondern als mögliche Verbündete gegen Linke.

Toralf Staud (Deutschlandfunk) forderte ein genaueres Bild des Rechtsterrorismus von den Sicherheitsbehörden. Ein oder zwei Täter hätten Lübcke wohl nach dem Konzept „führerloser Widerstand“ ermordet, wie beim NSU ohne Bekennerschreiben, um politische Gegner zu verunsichern.

Nils Markwardt (Republik.ch) widersprach Seehofer: Lübckes hinrichtungsartige, offenbar geplante Ermordung bedeute keine „neue Qualität“ im bundesdeutschen Rechtsextremismus. Dessen „blutige Spur“ (laut Daniel Köhler 229 Morde, 12 Entführungen, 174 bewaffnete Überfälle, 123 Sprengstoffanschläge sowie 2173 Brandanschläge seit 1971) werde nur allzu oft verdrängt. Ob und wie genau Lübckes Mörder dem von Rechtsextremen kultivierten „führerlosen Widerstand“ folgte, sei noch zu ermitteln. In jedem Fall diene seine Tat der schleichenden Chaotisierung der Verhältnisse mit dem Ziel eines (Bürger-)Krieges. Dieser sei der Kern neonazistischer Ideologie, die fast nur über die ständige Produktion von Feindbildern funktioniere und den Mangel an Theorie mit dem „Zwang zur paramilitärischen Dauermobilisierung“ ausgleiche. Schon Theodor W. Adorno habe 1967 einen Drang zum Weltuntergang in der rechtsextremen Ideologie festgestellt, die den Bürgerkrieg als Mittel zum Herbeiführen eines apokalyptischen Rassenkrieges ersehne. Diese Wahnidee habe die AfD mit an ihr Publikum adressierten Codewörtern wie „Umvolkung“ und „Widerstand“ längst in den Gesellschaftsdiskurs eingeschleust. Darum habe der Tatverdächtige nicht zufällig mit dem Gruß „Gott segne euch“ an sie gespendet. Adorno habe auch erkannt, dass rechte Propaganda mit relativ wenigen, intellektuell armen, aber ständig wiederholten „Tricks“ arbeite. Die hetzerischen Tricks der „Social-Media-Dauerbeschallung“ der AfD seien selektives ressentimentgeladenes Aufgreifen von Nachrichten zur Stigmatisierung von Muslimen und Flüchtlingen, kalkulierte rhetorische Tabubrüche, das Gleichsetzen aller „Altparteien“, die Rede vom „Merkel-System“, die Verrohung der Sprache und das permanente Beklagen der vermeintlichen Opferrolle.

Christian Bangel (Die Zeit) befürchtete, der Mord werde Engagierte einschüchtern. Vorboten seien eine weit verbreitete „verbale Ehrabschneidung“ und ein geschlossenes Hass-System bei Facebook sowie der Traum vom „Tag der Abrechnung“ mit Demokraten. Statt weiter Rassismus zu verniedlichen und angebliche linke diskursive Vormacht zu betonen, müsse „ein Gefühl der Dringlichkeit im Kampf gegen die Rechtsextremen und ihrem rechtspopulistischen Vorfeld eintreten“, das nicht wieder beim nächsten Skandal um Geflüchtete enden dürfe.

Sascha Lobo (Spiegel) sah den Mord als Werk „brauner Schläfer“: Längst gewaltbereite Rechtsextreme erhielten einen Handlungsimpuls aus der rechten Gegenöffentlichkeit im Internet. Oft kündigten sie die Tat dort wie Stephan Ernst einige Monate vorher an. Erika Steinbachs Tweet mit dem undatierten Lübcke-Video könne als „Markierung“ des Opfers gewirkt haben. Björn Höckes Aussagen von 2018, die Zeit des Redens sei vorbei, nötig sei nun „Kampfesmut“ gegen die „Vaterlandsverräter“, könne den AfD-Spender Ernst zum Mord ermutigt haben. Das Schweigen von Politik, Behörden und Zivilgesellschaft deuteten solche Täter als Zustimmung dazu, den wahren „Willen des Volkes“ umzusetzen. Daran trügen „verharmlosende Ignoranz bürgerlicher Politiker“ und „verbale Gewalttätigkeit gesellschaftlicher Debatten“ eine Mitschuld, etwa Horst Seehofers Aussage von 2011: „Wir werden uns gegen Zuwanderung in deutsche Sozialsysteme wehren – bis zur letzten Patrone.“ Eine dieser Patronen könne Lübcke getroffen haben.

Ähnlich nannte auch Benjamin Konietzny (n-tv) die AfD-Strategie, „die Grenzen des Sagbaren immer weiter auszudehnen“ und Feindbilder wie Lübcke zu pflegen, als Mitursache des Mordes. Die AfD habe ein Gewaltproblem, das sich immer wieder in der Sprache ihrer Vertreter und Anhänger zeige. AfD-Politiker rechtfertigten diese entweder mit der Wut des „Volkes“ oder stellten sie als Ausnahmen dar. Beides sei angesichts des Mordes an Lübcke unwahr. Weil die AfD-Führung sich dem Problem nicht stelle, treffe sie der Vorwurf der Heuchelei.

Am 25. Juni sagte Martin Hohmann (AfD) im Bundestag, ohne den von der Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verantwortenden „Massenzustrom an Migranten würde Walter Lübcke noch leben“. Christian Stöcker (Spiegel) kommentierte, nach dieser verqueren Logik wären nicht Mörder und ihre Unterstützer, sondern entfernte politische Entscheider für solche Morde verantwortlich – so etwa Konrad Adenauer (als Anwerber türkischer „Gastarbeiter“) für die des NSU. Damit mache sich die AfD „ständig genau der verbalen und nonverbalen Aggression und Hetze schuldig, mit der Leute wie der geständige Mörder Walter Lübckes voll und ganz einverstanden sind.“

Martin Krauß (Jüdische Allgemeine) fragte zur Forderung von Altbundespräsident Joachim Gauck nach einer „erweiterten Toleranz nach rechts“ (15. Juni 2019): „Ist nicht die fehlende Strafverfolgung derer, die einen Mord bejubeln, bereits ‚Toleranz nach rechts‘?“

Für Birgit Baumann (Der Standard) ist der Mord „ein Angriff auf die Demokratie“, daher müsse der Staat Härte zeigen. Die Hetze der AfD habe „eine Schärfe in die Debatte gebracht, die diesen Hass gedeihen lässt“, und im Internet werde „völlig enthemmt [...] Schranke um Schranke niedergerissen, auch die niederträchtigsten Gedanken haben freien Lauf“.

Bettina Gaus (taz) kritisierte die Reaktionen der Regierung, den Mord als unvorhersehbares Ereignis zu behandeln und mehr Geld für Polizei und Verfassungsschutz zu fordern. Schon früh seien rechtsextreme Täter wahrscheinlich gewesen. Belastbare Informationen zu deren Umfeld hätten aber vor allem NGOs wie die Amadeu Antonio Stiftung gesammelt, die viel weniger Mittel dazu hätten als Staatsbehörden.

Andrea Röpke befürchtete in der ARD, der Mord könne „ein Dammbruch für die Szene“ sein. „Wir haben wirklich 50 Straftaten von rechts statistisch gesehen am Tag in Deutschland und so wenig Auseinandersetzungen damit, so wenig Aufklärung, so wenig Sensibilität gegenüber diesem Thema.“

Georg Mascolo (SZ) verlangte Antworten der Ermittler auf Fragen zum Täterumfeld: „wieso ihn niemand stoppte, warum niemandem auffiel, dass ein vielfach vorbestrafter Rechtsextremist mit ausgeprägter Neigung zur Gewalt im Internet drohen und bedrohen konnte, ohne dass jemand einschritt.“ Er verwies auf die sogar nach dem Mord fortgesetzten Hasskommentare unter dem Lohfelden-Video. Die Justiz habe solche Straftaten im Netz nie mit Haft bestraft, so dass virtuelle Hetzer auf Davonkommen setzen konnten. Zudem hätten die Internetkonzerne viel zu lange keine Verantwortung für die Inhalte ihrer Plattformen übernommen. Auch Gegner rechter Parolen hätten das Netzwerkdurchsetzungsgesetz als Zensurgesetz abgelehnt. Die deutsche Justiz sehe nicht einmal in gezeigten Galgen und direkten Mordaufrufen eine konkrete Bedrohung von Politikern, solange Angaben zu Tatort und Tatzeitpunkt fehlten. Das Gefahrenpotential von Hassposts müsse neu eingestuft werden, da sie räumlich und zeitlich weit entfernte Folgen haben könnten. Dagegen seien die bestehenden Gesetze ab sofort konsequent und rasch anzuwenden.

Claudius Seidl (FAZ) erinnerte daran, dass politische Morde oder Mordversuche erst im historischen Rückblick als Heldentat oder Terrorakt beurteilt werden. Im Moment der Tat könne der Täter sich nur auf eine „höhere Moral“ und „paranoide Vernunft“ berufen und diese über geltende Gesetze stellen. Im Fall Lübckes habe der „Bürgerlichkeitsdarsteller“ Alexander Gauland (AfD) diese paranoide Tatlegitimation geliefert: Er habe Angela Merkel als „Kanzler-Diktatorin“ bezeichnet und ihre Politik als „Versuch, das deutsche Volk allmählich zu ersetzen“ durch Migranten aus aller Welt. Das habe der Täter nur als Aufforderung zum „Widerstand“ verstehen können.

Margarete Stokowski (Spiegel) kritisiert die Sprache von Politikern und Medien zum Mord. Die Aussage, Lübcke habe wegen seines Einsatzes für die Rechte von Geflüchteten sterben müssen, zeige ein typisches falsches Denkmuster: Denn Lübcke sei nicht an seinen politischen Ansichten, sondern durch die Waffe eines Rechtsextremen gestorben. Diese Formulierungen stünden in einer deutschen Tradition, Hass auszublenden und Trauer über die vielen Opfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland nicht zuzulassen. So lüden Fernsehsender lieber AfD-Politiker in Talkrunden ein, statt die wertvolle Sendezeit jenen zu geben, die hierzulande täglich unter Rassismus und Rechtsextremismus litten. Die Medien sollten mehr darüber berichten, wie die Betroffenen die „NSU-2.0“-Drohbriefe von Polizisten an eine türkischstämmige Anwältin, die Nichtfreigabe der NSU-Akten, die Bestellung von Leichensäcken durch Nordkreuz-Mitglieder und Aussagen von Hans-Georg Maaßen erleben und wie sie angesichts dieser Fälle den Sicherheitsbehörden vertrauen könnten. Menschenfeindliche Äußerungen von Rechtspopulisten und Rechtsextremen in Deutschland seien schon lange „sagbar“, aber nicht beachtet worden. Den Betroffenen zuzuhören, könne das sichtbar machen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen

Das Demokratiezentrum der Philipps-Universität Marburg verwies auf die Zunahme der Gewaltandrohungen seit der Flüchtlingskrise ab 2015, etwa gegen Bürgermeister und gegen die NSU-Opferanwältin Seda Başay-Yıldız. Darin liege genug Gewaltpotenzial für einen politischen Mord. Bei Lübcke habe „möglicherweise jemand solche Drohungen leider wahrgemacht“.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster meinte, dieser Mordfall müsse „alle Demokraten alarmieren“ und zeige „in erschreckender Weise, dass die Gefahren durch rechte Netzwerke, Rechtspopulismus bis hin zum rechten Terror nicht unterschätzt werden dürfen“.

Das Internationale Auschwitz Komitee forderte nach dem Mord von allen deutschen staatlichen Institutionen, konsequent gegen die rechte Szene durchzugreifen und Erkenntnisse über rechtsextreme Gruppen und Personen öffentlich zu machen. Holocaustüberlebende fragten, ob das massiv gewachsene rechte Hass- und Gewaltpotenzial in Deutschland nicht viel zu lange verharmlost und unterschätzt worden sei. Die demokratischen Kräfte dürften die AfD nicht aus ihrer Verantwortung für den Aggressionsprozess entlassen. Man erwarte von allen Deutschen den von Bundesinnenminister Seehofer angekündigten „Biss der Demokratie“.

Nachdem die Neonazipartei Die Rechte eine Versammlung am Regierungspräsidium in Kassel zum 20. Juli 2019 (Jahrestag des Attentats von 1944) ankündigte, meldeten zahlreiche Kasseler Initiativen Gegendemonstrationen am selben Ort an. Die Stadtverwaltung erwog ein Verbot der Neonazikundgebung. Der Szenekenner Olaf Sundermeyer stellte die Kontakte dieser „Pseudopartei“ zum Tatverdächtigen Stephan Ernst und zu Combat 18 heraus. Größtmögliche Provokation für mediale Aufmerksamkeit sei das Erfolgsrezept der Partei.

Am 20. Juli 2019 demonstrierten in Kassel mehr als 10.000 Menschen gegen 120 Anhänger der Partei Die Rechte. Deren Aufzug war nach Auflagen des Kasseler Ordnungsamts aus der Innenstadt verlegt worden.

Wissenschaft

Der Politikwissenschaftler Gideon Botsch sieht ein „enorm hohes“ Potenzial für rechten Terror in Deutschland, begünstigt durch das Abflauen der Aufmerksamkeit für rechte Straßenproteste. Die Feindbilder seien auch durch AfD und Pegida „markiert“ worden.

Der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent sieht die erste rechtsextreme Ermordung eines amtierenden Politikers seit 1945 als „Zäsur“. Die Grenzen zwischen Rechtspopulisten und gewaltbereiten Gruppen verwischten immer mehr. Auch durch die AfD-Erfolge fühlten sich Täter zu Gewalt legitimiert, da sie aus ihrer Sicht nur die Stimmung in der Bevölkerung umsetzten. Die eher milden Urteilen im NSU-Prozess hätten nicht abschreckend gewirkt, sondern der Szene Aufwind verschafft.

Für den Politikwissenschaftler Hajo Funke tragen Teile der AfD wie Björn Höcke oder Andreas Kalbitz für den Mord eine „klare Mitverantwortung durch die Hetze“. Diese dürfe nicht länger verharmlost und geleugnet werden. Wegen der Gefahr weiterer rechtsterroristischer Anschläge herrsche jetzt „Alarmstufe Rot“. Der hessische Staat habe „leider kläglich versagt“, weil ihm seit 2016 Hinweise auf den Tatverdächtigen als Gefährder vorlagen. Erika Steinbach sei mitverantwortlich dafür, dass Lübcke „Opfer einer Hetzkampagne“ geworden sei, weil ihre Postings vom Februar 2019 ihn zur Zielscheibe rechten Terrors gemacht hätten und sie Mordaufrufe nicht von ihrer Facebookseite gelöscht habe. Dagegen fand Steinbach ihre Posts „in keiner Hinsicht problematisch“.

Der Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber verwies darauf, dass Terroristen ihre Opfer sonst eher aus größerer Entfernung erschießen. Der Schuss aus kurzer Distanz zeige ein „hohes Maß an Gewaltorientierung und Kaltblütigkeit“ des Mörders, verwandt etwa mit der NSU-Mordserie und Uwe Behrendts Ermordung des Rabbiners Shlomo Lewin und seiner Freundin Frieda Poeschke 1980.

Der Politikwissenschaftler Reiner Becker, Leiter des Marburger Demokratiezentrums, widersprach der Annahme, die Behörden hätten die hessische Neonaziszene unterschätzt. Kameradschaften wie „Sturm 18“ oder „Freier Widerstand“ seien in Nordhessen nicht mehr einflussreich. Dort gebe es außer mancherorts Identitären und NPD kaum noch sichtbar auftretende, lokalisierbare rechtsextreme Gruppen. Neonazis bräuchten heute keine hierarchischen Organisationen mehr, weil sie sich in unübersichtlichen Mischszenen und losen Netzwerken wie den Preppern, Reichsbürgern und Gelbwesten verbergen könnten. Soziale Medien, rechtsextreme Konzerte und Kampfsport erlaubten ihnen den Austausch mit Gleichgesinnten auch ohne Kameradschaft. Daraus erklärten sich die erhebliche Zunahme von Drohungen gegen Lokalpolitiker, die Fälle Franco A. und NSU 2.0 und die Probleme der Behörden, die Täter zu erfassen. Ursache sei die inzwischen maßlose, von der AfD geförderte Enthemmung des öffentlichen Diskurses seit 2015, die gewaltbereite Täter an Häme und Hetze gewöhnt habe und glauben lasse, für eine Mehrheit zu handeln. Diese Lage habe auch früher straffällige, später unauffällige Täter zu erneuter Gewalt ermutigt. Sie handelten weder völlig isoliert noch strategisch, sondern nach Gelegenheit und Gewöhnung an die immer stärkere Verrohung. Sie seien nur schwer rechtzeitig zu finden, etwa durch sogenannte Netzwerkanalysen.

Staatliche Maßnahmen

Das Landeskriminalamt Hessen richtete als Teil der Sonderkommission Liemecke eine eigene Arbeitsgruppe für Ermittlungen zur Hasskriminalität ein, die auf Lübckes Mord gefolgt war. Deren Ausmaß war größer als zunächst angenommen, sodass die Ermittler laut Medienberichten mit tausenden Strafverfahren rechnen. Bis dahin war Hasskriminalität im Netz sehr selten verfolgt worden.

Nachdem Pegida-Demonstranten gegenüber Reportern des ARD-Magazins Kontraste Lübckes Ermordung relativierten, rechtfertigten oder ihn als „Volksverräter“ diffamierten, leitete die Staatsanwaltschaft Dresden Verfahren wegen Billigung von Straftaten gegen Unbekannt ein und prüfte, ob Volksverhetzung hinzukomme.

Infolge des Mordes will Innenminister Seehofer den Verfassungsschutz mit mehr Personal, besserer Technik und neuen Überwachungsbefugnissen ausstatten, etwa zum Einschleusen von Spionagesoftware in Server, Computer und Smartphones verdächtigter Zielpersonen. Einen Gesetzentwurf des Innenministeriums dazu wies das SPD-geführte Justizministerium jedoch zurück, weil darin die im Koalitionsvertrag festgelegte stärkere parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes fehlte.

Das Bundesinnenministerium plant auch ein Verbot mehrerer rechtsextremer Vereine, Kampfgruppen und Neonazi-Organisationen, darunter Combat 18.

Bernhard Witthaut, Leiter des Verfassungsschutzes Niedersachsen, kündigte verstärkten Einsatz seiner Behörde gegen Hass im Internet an. Man werde „zielgerichtete Personalverstärkungen“ für die Internetrecherche vornehmen. Das hessische LKA leitete bis 12. August 2019 mehr als 100 Verfahren zu Hasskommentaren im Internet ein, die im direkten oder indirekten Zusammenhang mit dem Mordfall Lübcke standen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand forderte, Internetkonzerne wie Google und YouTube schärfer zu kontrollieren und ihre Zerschlagung zu diskutieren. Auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz forderte ein Vorgehen der Bundesregierung gegen Hasskommentare bei YouTube.

Wegen der Waffenerlaubnis für Markus H. forderte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) Ende August 2019, das Waffenrecht zu verschärfen: Die Mitgliedschaft in einer extremen Gruppe oder Partei solle automatisch ausreichen, um eine Waffenerlaubnis zu verweigern. Sie folgte damit einem Vorschlag von Hessens Innenminister von 2018, der im Bundesrat keine ausreichende Zustimmung gefunden hatte.

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