Paul Niedermann
Quick Facts
Biography
Paul Niedermann (* 1. November 1927 in Karlsruhe) ist als Überlebender des Holocaust ein Zeitzeuge der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland und Frankreich. Er lebt seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Frankreich.
Leben
Am 22. Oktober 1940 wurde Niedermann als knapp Dreizehnjähriger mit seinen Familienangehörigen – Eltern, Großvater und der vier Jahre jüngere Bruder Arnold – im Rahmen der sogenannten Wagner-Bürckel-Aktion von Karlsruhe aus in das südfranzösische Internierungslager Gurs deportiert. Nach acht Monaten wurde er in das Lager Rivesaltes am Mittelmeer verlegt. 1942 gelang ihm gemeinsam mit seinem Bruder Arnold die Flucht, die durch die jüdische Untergrundorganisation Œuvre de secours aux enfants (OSE) organisiert wurde. Zusammen mit anderen jüdischen Kindern, zu denen auch der 1928 geborene David Hirsch aus Dirmstein gehörte, wurden die Brüder Niedermann in der Folgezeit an verschiedenen Orten in Frankreich versteckt, unter anderem im illegalen Kinderheim von Izieu (Kinder von Izieu). Arnold Niedermann konnte von der OSE über Portugal nach Baltimore (USA) zur Schwester der Mutter geschleust werden. Paul Niedermann wurde, wie seine Schulfreundin Hanna Meyer-Moses (* 1927), Ende 1943 mit weiteren jüdischen Kindern über die Schweizer Grenze in Sicherheit gebracht.
Mit Ausnahme der beiden Brüder fielen alle anderen verschleppten Familienmitglieder dem Holocaust zum Opfer. Die Eltern wurden 1942 quer durch Europa in Vernichtungslager transportiert; der Vater starb in Majdanek, die Mutter in Auschwitz. Der Großvater war bereits vorher in Gurs gestorben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ließ sich Paul Niedermann in Frankreich nieder. Er verbrachte sein Arbeitsleben, unter anderem als Journalist und Fotograf, in Paris, wo er auch im Ruhestand wohnt. Sein Bruder lebte in den USA und starb 2000 in Los Angeles.
Mit seinem Leidensgefährten David Hirsch traf Niedermann am 25. März 2009 in Dirmstein zusammen, als Hirsch, einziger noch Lebender von den deportierten Juden des Ortes, zur Stolpersteinverlegung für seine Familie aus Argentinien angereist war.
Bedeutung als Zeitzeuge
Bei seiner Aussage als Zeuge im Prozess gegen Klaus Barbie, der 1987 in Lyon wegen Kriegsverbrechen in Frankreich vor Gericht stand, sah sich Niedermann zum ersten Mal öffentlich mit seiner eigenen Geschichte konfrontiert. 1988 weilte er auf Einladung der Stadtverwaltung erstmals wieder offiziell in Karlsruhe, wo er über seine Erlebnisse berichtete. Seitdem wird er deutschlandweit immer wieder zu Vorträgen eingeladen. Die Schilderungen seiner persönlichen Erfahrungen sind anschaulich und eindringlich, er spricht zwei bis drei Stunden frei ohne schriftliche Aufzeichnungen. Neben seiner Vortragstätigkeit nimmt er auch aktiv an Führungen im Lager Gurs teil. Besonders der Dialog mit Jugendlichen liegt ihm am Herzen. Mit seinem Engagement will Niedermann bewirken, dass die Vergangenheit und die Shoah nicht aus dem öffentlichen und privaten Bewusstsein verschwinden. Deshalb betont er in seinen Vorträgen:
„Solange ich noch lebe, kann ich gegen Ungerechtigkeit und Vergessen schreien. Aber wenn ich nicht mehr da bin und meine Generation, dann liegt es an euch aufzuschreien.“
Ehrungen
- 2006: Ludwig-Marum-Preis des SPD-Stadtverbandes Karlsruhe
- 2006: Hermann-Maas-Medaille der evangelischen Kirchengemeinden Gengenbach und Heidelberg
- 2007: Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
- 2013: Ehrenmedaille der Stadt Karlsruhe
Literatur
- Thomas Lindemann (Hrsg.): Auf Hass lässt sich nicht bauen. Erinnerungen. Info Verlag, Karlsruhe 2011, ISBN 978-3-88190-643-2.
- Thomas Lindemann (Hrsg.): Un enfant juif, un homme libre. Mémoires. Info Verlag, Karlsruhe 2011, ISBN 978-3-88190-673-9.
- Ernst Otto Bräunche (Hrsg.): Briefe – Gurs – lettres. Briefe einer badisch-jüdischen Familie aus französischen Internierungslagern. Paul Niedermann, Erinnerungen = Mémoires. Info Verlag, Karlsruhe 2011, ISBN 978-3-88190-619-7.
- Stadt Mannheim (Fachbereich Kinder, Jugend und Familie – Jugendamt) und Stadtjugendring Mannheim e. V. (Hrsg.): Gurs 1170 km. Zur Deportation der badischen und pfälzischen Jüdinnen und Juden nach Gurs. Ausstellungs- und Projektdokumentation der Gruppe „Souvenir de Gurs“, Mannheim 2006.