Jürgen Wagner
Quick Facts
Biography
Jürgen Wagner (Eigenname: Öff! Öff!; * 12. Mai 1964 in Gelsenkirchen) ist ein deutscher Aussteiger und Vertreter der „Schenkerbewegung“.
Leben
Jürgen Wagner wuchs als ältester von vier Söhnen eines Bankangestellten und einer Sekretärin in Gladbeck im Ruhrgebiet auf. Er besuchte das Gladbecker Ratsgymnasium und machte dort 1983 sein Abitur. Anschließend studierte er als Priesteramtskandidat des Bistums Essenkatholische Theologie und Philosophie an der Universität Tübingen und der Ruhr-Universität Bochum. Während der Bochumer Studienzeit lebte er im Bischöflichen Studienkolleg in Bochum-Querenburg. Sein Studium schloss er 1988 an der Fakultät für katholische Theologie der Ruhr-Universität bei Franz Josef Stegmann mit dem Diplom ab. Seine Diplomarbeit trug den Titel Mahatma Gandhis Vorstellung von Gerechtigkeit und ihre Aufnahme im (katholisch-)christlichen Raum.
Von 1988 bis 1991 lebte und arbeitete er in Kamp-Lintfort am damaligen Emmaus-Zentrum Dachsberg der Emmaus-Bewegung, das er im Zuge seiner Recherchen zur Diplomarbeit kennengelernt hatte. Dort leistete er zudem von 1988 bis 1990 seinen Zivildienst ab. Ende 1991 entschloss er sich zusammen mit seinem früheren Schulkameraden Carsten Schröder, aus der bürgerlichen Gesellschaft auszusteigen. Nach eigenen Angaben verschenkten beide ihr Eigentum, sandten ihre Ausweise an den Bundespräsidenten und gingen als „Pilger und bettelnde Wanderprediger“ auf die Straße.
Nach eigenen Angaben war Wagner dann mehrere Jahre ohne Obdach in ganz Deutschland unterwegs und wurde dabei zeitweise von Schröder begleitet, der das Leben auf der Straße später aufgab. Gleichzeitig bemühte Wagner sich darum, die Idee einer „Schenker-Bewegung“ publik zu machen und engagierte sich zudem als Aktivist bei verschiedenen sozialen Projekten. Später zog er in die Oberlausitz in einen Wald bei Löbau und lebte dort in einer selbstgebauten Behelfshütte in der Georgewitzer Skala. Er ernährte sich unter anderem von Würmern, Schnecken, Pflanzen und Pilzen, aber auch von weggeworfenen Lebensmitteln sowie von Lebensmittelspenden.
Wagner bietet seit 2009 Interessierten Beratung und Lebenshilfe an. Darüber hinaus stieß er das Projekt „Haus der Gastfreundschaft“ in Dargelütz bei Parchim, Mecklenburg, für obdachlose und in Not geratene Menschen an. Im Laufe der Jahre entwickelte sich das Projekt „Haus der Gastfreundschaft“ beziehungsweise das durch Hinzukommen einiger Nachbarhäuser erweiterte „Dargelütz-Projekt der Schenker-Bewegung“ dahingehend, dass dort aufgenommene Menschen in weitgehender Selbstorganisation die Projektgestaltung übernommen haben und Wagner nur noch gelegentlich anwesend ist.
2005 wurde Wagner Vater einer Tochter. 2008 musste Wagner vor das Amtsgericht Eschwege, weil er den Unterhalt in Höhe von 196 Euro für sein Kind nicht zahlen wollte. Er erklärte, dass er in Form von Ameisen, Schnecken und Falläpfeln bezahlen wolle. 2009 suchte Wagner den Psychiater Werner Felber in Dresden auf. Felber erklärte nach einem Gespräch mit ihm: „Unter den Inhalten, die ich während des Gesprächs konstatieren konnte, sprach nichts für krankhaft auffällige Erscheinungen. […] Ein sehr interessanter Patient, ein hochintelligenter Mensch …“
2009 kam es auch zu einer Anzeige gegen Wagner von einer Ex-Partnerin wegen Verbreitung von Pornographie. Es ging um eine DVD mit persönlichen Aufnahmen, die bei einem Freund deponiert gewesen war. Wagner wurde freigesprochen. Im Februar 2012 durchsuchte die Polizei erfolglos seinen Wohnort nach einer Schusswaffe.
Wagner lebt bei seiner Frau Anke Rochelt und ihrem 2011 geborenen gemeinsamen Sohn in Stadtallendorf. Er betreibt zusammen mit seiner Frau die „ganzheitliche Zukunfts-Werkstatt“ „Lilitopia“, die Literatur über die Schenker-Bewegung publiziert. Ein erstes Ergebnis ist die erweiterte Ausgabe der Diplomarbeit von Anke Rochelt unter dem Titel: „Bildung für ganzheitliche Nachhaltigkeit bzw. globale Verantwortung. 'Globale Identifikation' statt 'Bruchstücksdenken oder -Vergeltung'“. Er hält sich nur noch zeitweilig im Skalatal in Löbau auf.
Im Januar 2014 war Wagner zu Gast in der Fernsehshow von Olaf Schubert (Olaf verbessert die Welt! Die Schubert Liveshow).
Im Februar 2015 besuchte Öff Öff wieder einmal sein „Biotopia-Projekt“ in der Georgewitzer Skala in Sachsen, wobei es zu Schlagzeilen in den Medien kam, weil ihm wegen GEZ-Forderungen das Einschreiten einer Gerichtsvollzieherin angedroht wurde. Zeitungen und Fernsehen schalteten sich ein und ein „bekannter Dresdner Anwalt“ (der Öff Öff schon früher verteidigte) erklärte sich bereit, die rechtliche Vertretung für Öff Öff zu übernehmen. Gleichzeitig warb Öff Öff in den Medien für seine Veranstaltung „Real-Newtopia“, eine Kontrastveranstaltung zur Sat1-Sendung Newtopia: In der Sat1-Sendung „soll eine bestimmte Zahl von Menschen, sich selbst überlassen, in der Natur leben und sich versorgen“. Öff Öff möchte mit seiner Kontrastveranstaltung in der Nähe von Marburg „nach eigener Darstellung tatsächlich zeigen, wie ein alternatives Leben möglich ist“.
Im Juni 2015 berichtete die Presse über die Entwicklung dieses „Real-Utopia“-Projekts auf einer verwilderten Wiese am Rande von Marburg, dass „eine Gruppe lokaler Aktivisten“ eine „Interessengemeinschaft Perma-Oase Ockershausen“ als Unterstützerverein und Pächter der Wiese („Perma-Oase“) gegründet hatte und gemeinsam mit Öff Öff in Verhandlungen mit Kritikern und Befürwortern getreten war. Die Gruppe wolle durch eine „Modell- und Bildungslandschaft“, auch für Schulen und Universität, das moderne ökologische Anbau-Konzept ganzheitlicher „Permakultur“, d. h. weitgehende Naturintegration, als Beitrag für das „integrierte Klimaschutz-Konzept der Stadt Marburg“ vordemonstrieren. Öff Öff wolle dafür z. B. erklären, wie man „so bescheiden und unabhängig wie möglich“ leben und u. a. sich von „Unkraut“ (Wildkräutern) ernähren könne usw. Kritiker erhoben „naturschutzrechtliche und ... ordnungsrechtliche“ Bedenken und wandten ein, dass sich auf dem verwilderten Gelände wohl kaum noch „etwas pflanzen lasse“, auch „nicht jeder einfach so überall seine Zelte aufbauen“ könne, Nachbarn wegen ihrer Kinder beunruhigt seien, „dass dort ein fremder Mann in freier Natur hause“, dem Verein „Seriosität fehlen“ könne usw. Der Bürgermeister von Marburg kündigte einen klärenden Besuch auf der Wiese an, erklärte, dass er den Sprecher des Vereins als „ernsthaften Verfolger naturschutzrechtlicher Absichten“ kenne, „Selbstversorgungsinitiativen wohlwollend gegenüberstehe“ und auch „den pädagogischen Anlass für förderungswürdig halte“. Da das jetzige Projektgrundstück aber wegen fehlenden Sanitäranlagen und fehlendem eigenem Zugangsweg für Schulbesuche problematisch sein könne, wolle die Stadt in ca. 500 m Entfernung „ein alternatives Grundstück anbieten“.
In den Jahren 2016 und 2017 gab es erneut einige Medienveröffentlichungen über Öff Öff, Schenker-Bewegung und das Real-Utopia-Projekt, wozu Öff Öff eine Auflistung mit Verlinkungen und z. T. auch Belegen und Kommentaren in seinem Blog veröffentlicht hat: Tanja Heller gab das Buch heraus: Einfach leben. Geschichten vom Aussteigen. Mit Texten von Marc Bielefeld, Öff Öff u.a., Uwe Haspel publizierte die zweite Auflage der „Chronik der Schenkerbewegung Teil 1 1991-2004“, und es gab auch eine erste soziologische Studie über Aussteiger, von Sascha Bachmann, mit dem Titel: Flucht vor der Zivilisation. Untersuchung gesellschaftlichen Aussteigens und zwanghafter Selbstverwirklichung, worin überwiegend Öff Öff behandelt wurde – woran Öff Öff, wie er in seinem Blog schrieb, erschreckt, dass ein Soziologe, Bachmann, solche Ausstiegs-Konzepte sozusagen als 'überdrehten Welt-Rettungs-Hype' mit 'Nordkorea-Gefahr' hinzustellen versuchen kann – während andere Wissenschaften wie die Entwicklungspsychologie Ergebnisse behaupten wie, dass echte Verantwortungsreife bei fast keinen Menschen gegeben ist – woraus der bedenkliche Verantwortungszustand der Welt ja nicht schwer zu erklären ist. In „Spiegel online“ erschien ein Artikel, der Öff Öff im Vergleich zu anderen bekannten Aussteigergestalten beschreibt, mit dem Titel: Öff Öff, der Aussteiger. Der Wald ist nicht genug, wo Öff Öff die Kommentarfunktion nutzte, um mancher im Artikel erwähnten öffentlichen Kritik an ihm zu widersprechen. Es gab auch einige TV-Beiträge: Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen eine Sendung des NDR „Besuch beim Waldmensch Öff Öff“, im WDR die Sendung „Das Experiment - Mein Leben als Selbstversorger“, wo u. a. gezeigt wird, wie ein Vater und seine Tochter bei Öff Öff herausfordernde Selbstversorgungserlebnisse durchmachen, und im ZDF eine Sendung, wo jemand bei Öff Öff als „einem der radikalsten Aussteiger in Deutschland“ einen „Ausstieg auf Zeit“ probiert.
Positionen, Schenker-Bewegung
Wagner lehnt die Konsumwelt ab und sieht darin etwas, das die Welt langfristig zerstören werde. Wagner schlägteine Welt der Schenkökonomie als Alternative vor, denn er glaubt, dass Geschenkeaustauschen bedeutet, miteinander in Liebe umzugehen. Er versucht, als Alternative eine „möglichst unideologische“ und konsensoffene „Schenker-Bewegung“ zu gründen, als eine „Bewegung von Menschen, die mit anderen nur noch Geschenke austauschen möchten, um insgesamt verantwortlich zu leben“.
Wagner hat dabei zwar bisher kaum Mitmachende gefunden, die wie er (als sogenannte „(existentielle) Schenker“) ausschließlich nur noch Geschenke austauschen, ohne Geld und ohne Tausch, also nur in Planung von Menschen mit Blick aufs Ganze („globale Liebe“), ohne sich durch Blick auf das, was man unmittelbar zurückbekommt (Vergeltungsrechnungen), davon ablenken zu lassen.
Er hat aber, was neben den „Schenkern“ die zweite Untergruppe in der Schenker-Bewegung ist, schon viele sogenannte „Schenker-Verbündete“ gefunden, damit sind Menschen gemeint, die den Schenkeridealen zustimmen, egal, wie viel sie davon verwirklichen, dass aus der Schenker-Bewegung mittlerweile ein Netzwerk aus Vereinen und Gemeinschaftsprojekten geworden ist: Es gibt drei Vereine (den als gemeinnützig anerkannten „Verein zur Förderung des Schenkens VFS e. V.“, den ebenso gemeinnützigen „Verein pro Beutelsbacher Konsens VBK e. V.“, und den „Förderverein der Schenker-Bewegung FdSB e. V.“), sowie ca. zehn Versuche von Gemeinschaftsprojekten in verschiedenen Teilen Deutschlands, wozu auch die oben schon genannten Projekte „Haus der Gastfreundschaft“ und „Lilitopia“ gehören.
Literatur
- Olaf Gillner: Öff! Öff! Der geheimnisvolle „Waldmensch“: Sein Glücksrezept, von Essen bis Liebesleben. Ein autorisiertes Interview. Taschenbuch, Verlag Gillner, Dresden, 2008, ISBN 978-3-9812606-0-1.
- Andreas Herget: Herr Öff! Öff! braucht kein Geld. In: Das Magazin. Nr. 09, 2002, S. 74 ff.
- Stefanie Schlemmer: Halb so wild. Waldmensch mit Mission. In: Das Magazin. Für alle, die Seitenstraßen mögen. April 2011 (Das Leben feiern. 2001 bis 2011. Jubiläum im A5-Format. Fünfzig Magazin-Geschichten & wie sie weitergingen.) Seite 116 ff.
- Hugler, Klaus: Ohne Gewalt und Zwang. Die Lebensvorstellungen M.K. Gandhis und L.N. Tolstois für das 21. Jahrhundert. Cottbus: REGIA-Verlag 2011, ISBN 978-3-86929-072-0.
- Rochelt, Anke: Bildung für ganzheitliche Nachhaltigkeit bzw. globale Verantwortung. „Globale Identifikation“ statt „Bruchstücksdenken oder -Vergeltung“. Saarbrücken: Akademikerverlag 2013, ISBN 978-3-639-48603-2 (Reihe Humanwissenschaften)