Erwin Böhm
Quick Facts
Biography
Erwin Böhm (* 16. Mai 1940 in Wien) ist ein österreichischer Pflegewissenschaftler.
Leben und Werk
Böhm wurde 1963 Diplomierter Psychiatrischer Krankenpfleger. 1978 bekam er ein Disziplinarverfahren da er einen Patienten aus der Klinik in seine alte Wohnung brachte und dort belassen hat.
1979 wurde sein Projekt Übergangspflege offiziell als Modellversuch gestartet und als eigene Abteilung des neugegründeten Kuratoriums für psychosoziale Dienste (PSD) unter Leitung des international renommierten Psychiaters Stephan Rudas in Wien implementiert, das Böhm von 1987 bis Ende 1992 als Pflegedienstleiter leitete. Mit dem erfolgreichen Ausbau des PSD gaben Rudas und Böhm auch das Startsignal für einen Paradigmenwechsel in der psychiatrischen Fachpflege und für eine umfassende und dezentralisierte Psychiatriereform in Wien, die von Gesundheitsstadtrat Alois Stacher politisch unterstützt und vorangetrieben wurde.
1983 entwickelte er das österreichische Pflegemodell: die „Reaktivierende Pflege nach Böhm“, das 1985 vom Weltkongress für Geriatrie in New York anerkannt wurde.
1990 gründete er die „Österreichische Gesellschaft für Geriatrische und Psychogeriatrische Fachkrankenpflege und angewandte Pflegeforschung“, kurz AGPK genannt, als gemeinnützigen Verein. Als Vereinsstellvertretung wurde Frau Maria Riedl ernannt. Während Böhm sich auf die Theorie spezialisierte, übernahm Maria Riedl die Praxis.
2000 gründete er die Böhm-Negel GmbH in Deutschland zusammen mit Armin Negel.
1996 wurde Böhm zum Schulungsbeauftragten des Wiener Krankenanstaltenverbundes (KAV) für die Übergangspflege und das "Psychobiographische Pflegemodell nach Böhm" bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2000 bestellt. Im Mai 2000 wurde ihm bei einer Fachtagung im VAZ St. Pölten (NÖ) der "LAZARUS Ehrenpreis für sein Lebenswerk", und mit Entschließung des Herrn Bundespräsidenten vom 4. Mai 2000 der Berufstitel Professor verliehen.
2002 verließ Böhm den Verein AGPK, um das "Europäische Netzwerk für Psychobiographische Pflegeforschung nach Erwin Böhm" zu gründen, Sitz Bochum.
Psychobiografisches Pflegemodell nach Böhm
Böhms Pflegemodell unterscheidet sich stark von herkömmlichen Pflegemodellen. Böhm sagt darüber selbst, dass es kein Pflegemodell im klassischen Sinn sei. Stattdessen lebe sein Modell "von seinen Erfahrungswerten": "Das Modell muss sich auch weiterentwickeln, weil sich die Menschen, der Zeitgeist, die Traditionen und Gebräuche ja auch weiterentwickeln."
Böhm geht in seinem Modell davon aus, dass Körper, Seele, Geist, soziales Umfeld und persönliche Geschichte in einem ständigen Zusammenhang stehen; sie bedingen einander und wirken aufeinander. Die am Pflegeprozess beteiligten Personen haben es dabei nicht mit einer "Linie von Krankheiten zu tun",sondern, so Böhm, "mit Menschen, die unter der Bedingung einer Krankheit leben." Grundprinzip des von Böhm entwickelten Ansatzes ist hierbei, dem Klienten wieder Selbstständigkeit zu vermitteln, ihn zu reaktivieren.
Normalitätsprinzip
Böhm prägte ebenfalls den Begriff des Normalitätsprinzips. Böhm geht davon aus, dass jeder Mensch, geprägt durch seine Sozialisation, Kultur und Erfahrungen, eine persönliche Lebensform entwickelt, aus der sich sein Bild eines normalen Verhaltens und Handelns ergibt:
- wie und was er isst
- wie er mit Mitmenschen in Beziehung tritt
- womit er sich beschäftigt und wie man dies tut
- worin er den Sinn des Lebens sieht
- wie er sich kleidet
Das Normalitätsprinzip nach Böhm nimmt an, dass Menschen mit einer Demenz verstärkt auf die Normen und Handlungsweisen aus der früheren Lebenszeit zurückgreifen.
Kritik am Modell
Ein Problem im Pflegealltag ist, dass bei dem Modell von Böhm alle Personen (Arzt, Abteilungshelfer, Pflegehelfer, Zeitarbeit) auf einer Station nach Böhm geschult sein müssen, dies ist in der Praxis nur schwer bis gar nicht umsetzbar. Vor allem in der Langzeitpflege ist eine Umsetzung aus Kostengründen fast nicht möglich. Das Gegenteil beweisen jedoch die Heime, die nach dem Böhm Siegel ENPP zertifiziert sind (siehe Homepage des ENPP).
Urheberrechtsverletzungen
2002 verließ Böhm den Verein Österreichische Gesellschaft für geriatrische und psychiatrische Krankenpflege und angewandte Pflegeforschung und es kam in der Folge zu Streitigkeiten mit dem AGPK die andauern. Schon 2 Jahre vorher gab es Probleme um einen Urheberrechtsstreit mit der vorangegangenen Firma Böhm-Negel GmbH. Hier wurde aus einem Kursskript von Maria Riedl Textstellen für die Homepage übernommen, ohne dass Frau Riedl die Zustimmung gegeben hatte.
Ehrungen
- Silbernes Verdienstzeichen des Landes Wien
- Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich
- Berufstitel Professor, 2000
Werke (Auswahl)
- Ist heute Montag oder Dezember? Erfahrungen mit der Übergangspflege. Überarb. Neuausg., Psychiatrie-Verl., Bonn 1992, ISBN 3-88414-062-0. (früher u.d.T.: Erwin Böhm: Krankenpflege – Brücke in den Alltag)
- Psychobiographisches Pflegemodell nach Böhm; Bd. 1: Grundlagen; Bd. 2: Arbeitsbuch. Taschenbuchausg., 3. Aufl., Maudrich, Wien u. a. 1999, ISBN 3-85175-733-5. (2 Bände)
- Pschyr-Rempler oder medi-zynische Böhm-merkungen oder keiner versteht keinen – aber wir reden. Maudrich, Wien u. a. 2000, ISBN 3-85175-746-7. (Hinweis: Humoristische Darstellung)
- Seelenlifting statt Gesichtsstraffung. Älterwerden akzeptieren – Lebensantriebe reaktivieren. 1. Aufl., Ed. Das Narrenschiff im Psychiatrie-Verlag, Bonn 2005, ISBN 3-88414-385-9.
- Happy Aging statt Anti Aging. Tipps gegen die selbstgemachte Senilität. Empfehlungen (solange man lebt sei man lebendig!). Maudrich, Wien u. a. 2006, ISBN 3-85175-843-9.
Literatur
- Georges Hausemer: Erwin Böhm – Gesammelte Lebenslügen, Mabuse-Verl., Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-935964-49-8.
- Elke Müller (Schwesternschule der Universität Heidelberg) und Robert Bosch Stiftung, Stuttgart (Hrsg.): Leitbilder in der Pflege: Eine Untersuchung individueller Pflegeauffassungen als Beitrag zu ihrer Präzisierung, Dissertation Universität Bremen, Huber Verlag Bern, Göttingen 2001, hier: Pflegemodellentwürfe in der Bundesrepublik Deutschland S. 307–310.