Markus R.
Quick Facts
Biography
Der Fall Markus R. bezeichnet die Enttarnung eines Beamten des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Pullach als Informanten der US-amerikanischen Geheimdienste. Der Fall kann in die globale Überwachungs- und Spionageaffäre, die im Juni 2013 durch die Enthüllungen von Edward Snowden begann, eingeordnet werden. Sollte sich der Spionageverdacht bestätigen, wäre dies der bisher größte Skandal um einen deutsch-amerikanischen Agenten seit der Nachkriegszeit. Auch qualitativ ist es ein Sonderfall: Die (enttarnte) Platzierung eines Agenten in einem befreundeten Nachrichtendienst gab es in der Geschichte des BND auf der einen und US-amerikanischen Diensten auf der anderen Seite noch nie.
Beruflicher Werdegang
Markus R., aus der Region um München stammend, arbeitete beim BND im mittleren Dienst in der Registratur der Abteilung „Einsatzgebiete Ausland“ im bayerischen Pullach. Die Abteilung ist für die Kommunikation mit den Residenten des BND im Ausland und den Kontakten zu Partnerdiensten anderer Länder verantwortlich. Bei seiner Festnahme war er 31 Jahre alt. Am 4. Juli 2014 wurde öffentlich bekannt, dass er von der Bundesanwaltschaft wegen des dringenden Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit am 2. Juli festgenommen wurde.
Informationsweitergabe
Die öffentlich zum Fall vorliegenden Informationen stammen zunächst aus einer gemeinsamen Recherche von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung. Danach war Markus R. angeblich 2012 mit der US-Botschaft in Berlin in Kontakt gekommen. Er soll der Botschaft eine Mail geschickt haben, woraufhin sich ein Nachrichtendienstmitarbeiter mit dem Decknamen Craig bei ihm gemeldet haben soll. Zum damaligen Zeitpunkt war Philip Murphy Botschafter in Berlin. Wie das Magazin Der Spiegel recherchierte, soll Markus R. jedoch nicht aus der Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin, sondern aus der US-Botschaft in Wien geführt worden sein. Für die CIA bedeutete es ein geringeres Entdeckungsrisiko, die sensible Quelle Markus R. aus dem nahe gelegenen Ausland zu führen.
Er soll seit 2008 insgesamt 218 Dokument-Sammlungen des BND, darunter 3.500 Klarnamen von deutschen Agenten, an sich gebracht und diese auf USB-Sticks bei konspirativen Treffen in Salzburg für mindestens 95.000 Euro an US-Geheimdienste verkauft haben.
Enttarnt wurde der BND-Mitarbeiter erst, als er am 28. Mai 2014 auch den Russen in einer E-Mail über sein Google-Mail-Konto seine Dienste anbot, sie sei der entscheidende Hinweis gewesen, der später zur Festnahme geführt habe. Die Mail wurde von der Spionageabwehr des Verfassungsschutzes abgefangen. Markus R. hatte dem russischen Generalkonsulat in München drei als geheim eingestufte BND-Dokumente in seine E-Mail angefügt, um die Empfänger von der Ernsthaftigkeit seines Angebots zu überzeugen. Bei der Durchsuchung der Wohnung von R. stellten die Ermittler neben einem USB-Stick mit entwendeten BND-Papieren einen Computer sicher, der nach ersten Erkenntnissen vom US-Geheimdienst so präpariert wurde, dass R. mit seinen Auftraggebern verschlüsselt kommunizieren konnte.
Dabei war nach Einschätzung der Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums – entgegen ersten Annahmen – der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags nicht das Ziel der Überwachung. Nur eine Akte der 218 beim mutmaßlichen BND-Spion gefundenen Dokumente beschäftige sich überhaupt mit dem NSA-Ausschuss. Darin habe BND-Präsident Gerhard Schindler eine Anweisung an seine Behörde gegeben, keine Akten mehr zu schreddern, weil der NSA-Ausschuss sie unter Umständen anfordern könnte. Insgesamt hätten die 218 Akten einen Umfang von fünf Leitz-Ordnern.
Unklar ist, ob Markus R. davor oder während dessen auch russischen Diensten die Weitergabe von Informationen angeboten hatte. Über einen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums, der später ebenfalls als US-Spion enttarnt wurde, stellte der Verfassungsschutz eine Routineanfrage beim BND. Es stand der Verdacht im Raum, der Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums gebe Informationen an russische Dienste weiter. Es war diese Anfrage, die Markus R. an den russischen Generalkonsul in München weitergeleitet hatte. Der Verfassungsschutz wollte wissen, ob der BND über Kenntnisse darüber verfügte, dass der Referent für die Russen spioniere. Mittlerweile steht der Mann, dessen Wohnung im Großraum Berlin und sein Büro im Berliner Bendlerblock am 9. Juli durchsucht worden waren, unter dem Verdacht, ebenfalls für die Amerikaner spioniert zu haben. Er bestreitet die Vorwürfe. Der Zivilist war als Referent in der Abteilung Politik des Verteidigungsministeriums tätig und soll dort für internationale Rüstungskooperation zuständig gewesen sein. Er wirkte damit an der Vorbereitung sicherheitspolitischer Richtungsentscheidungen des Ministeriums mit. Dieser zweite Fall wurde vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) entdeckt.
Aus den Dokumenten von Markus R. geht hervor, dass der BND ein Telefonat der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton abgefangen hat, als sie in einer US-Regierungsmaschine ein Krisengebiet überflog. Dort überwachte der BND die Kommunikation. Deutsche Regierungskreise bestreiten allerdings, dass es eine systematische Spionage des BND gegen die USA gibt. Vielmehr sei das Gespräch, das Clinton in ihrer Amtszeit aus einer US-Regierungsmaschine heraus geführt habe, nur zufällig aufgefangen worden. Das abgehörte Gespräch war also eine Art Beifang. Allerdings wurde das Transkript des Telefonats nicht sofort vernichtet. Eine Reihe von BND-Beamten bekam es zu lesen. Erst danach sollte es vernichtet werden – und zwar ausgerechnet von Markus R., der das Transkript kopiert und an die CIA gegeben hat.
In den Dokumenten, die Markus R. an die CIA gegeben hat, befindet sich ein weiteres sehr brisantes Papier, eines der am strengsten gehüteten Geheimnisse – nicht einmal das Parlamentarische Kontrollgremium hat es bislang sehen dürfen – das „Auftragsprofil der Bundesregierung“ für den deutschen Geheimdienst, es ist das umfassende Konzept zur Gegenspionage des BND. Darin wird im Detail beschrieben, wie die Deutschen beim Ausspionieren und Analysieren ausländischer Nachrichtendienste vorgehen, darin sind auch alle die Länder aufgelistet, die der BND ausspionieren soll. Die USA finden sich nicht darunter, jedoch das NATO-Partnerland Türkei.
Festnahme und Vorwürfe
Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wirft Markus R. vor, er habe auch den NSA-Untersuchungsausschuss im Auftrag eines US-Geheimdienstes ausspioniert, er soll mehrfach von dem US-Geheimdienst befragt worden sein und mindestens einmal über die Aktivitäten des NSA-Untersuchungsausschusses in die USA berichtet haben. Markus R. hat sofort nach seiner Festnahme am 2. Juli und ohne anwaltlichen Beistand Angaben gemacht. Am 4. Juli wurde der Botschafter der Vereinigten Staaten in Deutschland, John B. Emerson zu einem Gespräch ins Auswärtige Amt gebeten und Staatssekretär Stephan Steinlein hat ihn aufgefordert „an einer zügigen Aufklärung mitzuwirken“, teilte das Auswärtige Amt anschließend mit.
Auch zum neuen Spionagefall musste der US-Botschafter Emerson innerhalb weniger Tage zum Gespräch ins Auswärtige Amt. Bei diesem zweiten Mal bat er angeblich selbst um das Treffen.
Sollte die Bundesanwaltschaft den oder die Agentenführer aus Österreich identifizieren, würden diese im Falle eines Strafverfahrens in Deutschland keinen diplomatischen Schutz genießen.
Der Anwalt des Verdächtigen Markus R. Klaus Schroth erklärte, sein Mandant mache nicht den Eindruck die „Qualitäten und die Persönlichkeitsstruktur mitzubringen, die man mit einer Spionageaktivität gewöhnlich in Verbindung bringt“ und beantragte ein Gutachten über den Zustand seines Mandanten. Markus R. leidet an einer Behinderung aufgrund eines Impfschadens, den er im Alter von einem Jahr in der DDR erlitten hat.
Reaktion
Bundeskanzlerin Angela Merkel demonstrierte Unverständnis: „Aus meiner Interessenssicht ist es nicht eine partnerschaftliche Zusammenarbeit, wenn so etwas vorkommt.“ Sie denke jedoch nicht, dass man den Amerikanern das Ausspähen austreiben könne – oder dass es einfach sei, die Arbeit der Nachrichtendienste völlig umzukrempeln. Gleichzeitig bekannte sich Merkel zu einer Zusammenarbeit mit den USA. Sie habe die Geheimdienste nicht angewiesen, die Kooperation mit den US-Kollegen zurückzufahren. Sie halte auch nichts davon, die Verhandlungen über das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) auszusetzen.
Als die Kanzlerin ausgerechnet während eines Besuchs in China, einem der schärfsten Rivalen der USA, Kritik an der möglichen Rolle der USA äußerte, kam zunächst keine offizielle Reaktion auf die Spionageaffäre von US-Seite. Am 9. Juli wandte sich der CIA-Chef John O. Brennan persönlich ans Kanzleramt. Es wurde berichtet, Brennan habe zur Schadensbegrenzung mit dem Koordinator der Nachrichtendienste des Bundes, Klaus-Dieter Fritsche, telefoniert. Über den Inhalt des Gesprächs hüllen sich beide Seiten in Schweigen. Brennan hatte zuvor ausgewählte Senatoren im Kongress in die Spionageaffäre eingeweiht. Zu den offenen Fragen zählt, wann das Weiße Haus in die Details eingeweiht wurde. Es wurde berichtet, der US-Präsident Barack Obama sei, wie auch Geheimdienstkoordinator James Clapper, nicht informiert gewesen.
Am 10. Juli 2014 gab die Bundesregierung in der Ausschusssitzung des NSA-Untersuchungsausschusses bekannt, dass der oberste Repräsentant des US-Geheimdienstes CIA in Deutschland aufgefordert werde auszureisen. Der Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte, die Aufforderung zur Ausweisung „erging vor dem Hintergrund der laufenden Ermittlungen des Generalbundesanwaltes wie auch der seit Monaten anstehenden Fragen zur Tätigkeit von US-Nachrichtendiensten in Deutschland, zu denen der Deutsche Bundestag einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingerichtet hat“ – zugleich hob er das deutsche Interesse an einer weiterhin engen Zusammenarbeit mit den USA hervor. Der Vorsitzende des Bundestagsgremiums zur Kontrolle der Geheimdienste (PKGr) Clemens Binninger gab bekannt, die Aufforderung erfolge „als Reaktion auf die auf lange Zeit nicht erfolgte Zusammenarbeit im Bemühen um Aufklärung“, der SPD-Vertreter im PKGr, Burkhard Lischka, bezeichnete die Aufforderung als „richtige Reaktion“. Deutschland habe in den USA viele Fragen gestellt, „ohne irgendeine Antwort zu bekommen“. Auch die Oppositionsparteien Grüne und Linke begrüßten den Schritt der Bundesregierung.
Die Fraktion der Partei Die Linke forderte eine Aussetzung der Verhandlungen über das TTIP. Der Unions-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss Roderich Kiesewetter forderte eine „erhebliche Aufstockung“ des BND-Etats, um die Gegenspionage künftig auf verbündete Staaten wie die USA ausweiten zu können.
Der frühere türkische Vizeregierungschef Ertuğrul Yalçınbayır forderte: „Wir brauchen jetzt ein No-Spy-Abkommen.“
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat am 11. August 2015 Anklage wegen Landesverrats vor dem Oberlandesgericht München erhoben.
Prozess vor dem OLG München
Unter strengen Sicherheitsauflagen begann am 16. November 2015 der Prozess gegen Markus R. Markus R. hat ein umfassendes Geständnis abgelegt. Für die Zumessung der Strafhöhe wurde ein Gutachten in Auftrag gegeben, das ermitteln soll, welcher Schaden der Bundesrepublik durch die Weitergabe der Dokumente entstanden ist. Am 17. März 2016 wurde Markus R. wegen Landesverrats und Verletzung von Dienstgeheimnissen zu 8 Jahren Haft verurteilt.