Manfred Sellier
Quick Facts
Biography
Manfred Sellier (* 2. Dezember 1898 in Mainz; † 23. Januar 1968 in Übersee/Chiemgau) war ein deutscher Geheimdienstoffizier im OKW-Amt Ausland/Abwehr sowie angeblicher Mitarbeiter der Organisation Gehlen und des Bundesnachrichtendienstes.
Leben
Manfred Sellier war der Sohn des Artillerieoffiziers Numa Sellier und seiner Ehefrau Margarete, geb. Aschenbach. Seine Kindheit verbrachte der junge Sellier bis 1914 in Ostpreußen und Mainz, je nachdem, wo sein Vater stationiert war.
Nach der Primarreife trat Manfred Sellier im Mai 1915 freiwillig als Fahnenjunker ins Heer ein und kämpfte 1916 unter anderem in der Schlacht um Verdun und der Schlacht an der Somme. Ab August 1917 war er als Fliegerbeobachtungsoffizier an der Westfront. Nach mehreren weiteren Stationen bei der Luftstreitkräfte diente er von Januar bis August 1919 im Freikorps in der Freiwilligen Fliegerabteilung 408 Eiserne Division im Baltikum. 1919/20 beteiligte er sich an Kämpfen während der Aufstände in Oberschlesien. 1920 wurde er im Zuge der Heeresverminderung im Rang eines Oberleutnants verabschiedet, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz I. und II. Klasse.
Nach seiner Entlassung aus dem Heer begann Manfred Sellier 1920 als Kaufmann zu arbeiten. Nebenberuflich absolvierte er zwei Semester Handelshochstudium, gefolgt von einem technischen Studium. Zwischen verschiedenen Stellen als Handelskorrespondent war er in den wirtschaftlich krisenhaften 1920er Jahren immer wieder arbeitslos. Im August 1925 trat Sellier in den Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten ein. Ab April 1926 arbeitete er in Südwestafrika in einer Diamantenmine sowie in Angola: „Im Busch verbrachte ich die Jahre als Chauffeur, Schlosser, Lokomotivführer und Brückenmonteur.“ In Lüderitzbucht leitete er auch die Ortsgruppe des Stahlhelm. 1928 kehrte er, malariakrank, nach Deutschland zurück.
Im Mai 1929 trat Manfred Sellier in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 129.524). Anschließend ging er nach Budapest zu einer bekannten Familie, die ihm eine Stellung verschaffen wollte. Im Juli 1929 heiratete er Vilma Szirmai, eine Jüdin. Die Ehe blieb kinderlos. Im November 1929 trat Sellier eine Stelle bei der Vacuum Oil Company an. Im November 1930 kehrte Manfred Sellier nach Deutschland zurück und wurde in Kiel als Werbeingenieur angestellt. Dort war er 1930/31 auch als Scharführer der SA aktiv. Am 17. November 1930 beteiligte er sich in Eutin an einer Saalschlacht, bei der politische Gegner aus dem Saal geprügelt wurden. Vom 20. Oktober bis zum 1. Dezember 1931 arbeitete Sellier vorübergehend als kaufmännischer Angestellter bei einer Tabakfabrik in Plön. Anschließend ging er nach Berlin zur Tobis-Klangfilm AG, wo er ab 1933 die Auslandsabteilung leitete. Im Oktober 1932 trat Manfred Sellier aus der NSDAP aus, weil er deren Wahlkampfauftritte gegen den Reichstagspräsidenten Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg beanstandete.
Von Mai bis September 1933 war Sellier Stahlhelm-Gruppenführer für Spandau. Im Februar 1933 wurde seine Ehe mit Vilma Sellier, geb. Szirmai, geschieden. Kurz darauf, Ende März 1933, heiratete er erneut. Aus der Ehe mit Johanna Proske, einer Cousine zweiten Grades, gingen bis 1938 drei Kinder hervor. Ab März 1934 beantragte Manfred Sellier mehrfach seine Reaktivierung als Offizier. Diese wurde wiederholt abgelehnt wegen angeblicher kommunistischer Aktivitäten 1921. 1936 erhielt er einen Truppenausweis als Oberleutnant der Reserve.
Abwehr 1936–1945
Die Informationen in der Militärakte des Bundesarchivs und die Akteneinträge der Alliierten über Manfred Sellier differieren. So erscheint in letzteren nicht sein Klarname, sondern die Decknamen wie Erich Salzmann oder Cellier. Unter Klarnamen war Manfred Sellier von 1936 bis 1939 nach eigener Aussage auf seinen Auslandsreisen für die Klangfilm AG „ehrenhalber“ für den Geheimen Wirtschaftlichen Meldedienst der Abwehrstelle III AK als „Kundschafter“ tätig. 1937 bewarb er sich explizit bei der Abwehr. 1938 wurde er vom Luftgaukommando III als Reserveoffizier angenommen. Seine Beurteilung bescheinigte ihm neben Auslandserfahrung und Technikwissen überdurchschnittlich gute Fremdsprachenkenntnisse (Sellier sprach akzentfrei Französisch und fließend Englisch, zudem etwas Portugiesisch und Ungarisch). Er sei als Mitarbeiter des Abwehrdienstes geeignet.
Am 10. September 1939 wurde Manfred Sellier als Oberleutnant der Luftwaffe eingestellt, am 1. Juli 1939 zum Hauptmann befördert und am 1. Juli 1940 zum Major. 1940 war er in Bordeaux beim Geheimen Wirtschaftlichen Meldedienst und von 1941 bis 1942 als Leiter I Wi in der Abwehrleitstelle in Paris. Im Januar 1941 frischte er bei einem Aufenthalt in Paris seine Bekanntschaft mit Hauptmann von Winterfeld auf, dem Adjutanten von Generalfeldmarschall Erhard Milch. Sein Vater Numa war laut Manfred Sellier mit Milch bekannt. 1942 wurde er nach Russland versetzt. Aktenkundig sind Aufenthalte in Mariupol, Simferopol, Losowaja und Charkow. Seine Aufgabe lag in der „Befragung russischer Kriegsgefangener“. Am 19. Juni 1942 kehrte er aus gesundheitlichen Gründen nach Deutschland zurück. Am 1. September 1942 wurde er zum Oberstleutnant der Abwehr befördert.
Im Mai 1943 erhielt der französische Exilnachrichtendienst die Information, dass alias Sibelius, alias Dr. Erich von Salzmann unter dem neuen Decknamen Oberst Scellier nach seiner Rückkehr aus Russland für die Deutsche Waffenstillstandskommission in Royat, einer kleinen Gemeinde in der französischen Region Auvergne-Rhône-Alpes und Sitz des Nachrichtendienstes des Vichy-Regimes, tätig war. 1944 wurde er zum Inspektor einer Abwehrdienststelle ernannt.
Vom 7. Juli 1943 bis zum 1. Februar 1944 war Manfred Sellier Leiter des Heeres-Kraftfahrparks 51 in Orleáns. Am 1. November 1944 bescheinigte ihm Generalleutnant Gustav Hundt, Chef des Rüstungs- und Beschaffungsstabes Frankreich, „dass in den letzten Monaten sein sonst anzuerkennendes, temperamentvolles und aktives Wesen sich infolge schwieriger persönlicher Verhältnisse zu krankhafter Nervosität steigerte, die dann leider unter Einwirkung der militärischen Lage zum völligen Zusammenbruch gerade im kritischsten Moment führte“. Diese „nervöse Überreizung“ sei auf einen „Schädelbruch“ als Flieger im Ersten Weltkrieg zurückzuführen. Ein Kommando könne ihm nicht mehr übertragen werden.
Seine letzten bekannten Truppenteile waren der Fliegerhorst Chemnitz, zuvor der Fliegerhorst Frankfurt und die Abwehrstelle des General-Kommandos III in Berlin. Am 30. April 1945 erhielt er seinen Abschied aus der Wehrmacht.
Nachkriegszeit
Nach Kriegsende kam Manfred Sellier von Dezember 1945 bis 1946 zur Entnazifizierung ins britische Camp 031 nach Stöckse bei Walsrode. Im anschließenden Spruchkammerverfahren in Oldenburg wurde er als „unbelastet“ eingestuft, da seine NSDAP-Parteimitgliedschaft nicht bekannt wurde. Dann kehrte er zu seiner Familie zurück, die zwischenzeitlich nach Brettorf, einem Dorf bei Wildeshausen, evakuiert worden war. Ein erwachsenes Kind berichtete, Manfred Sellier habe den jugendlichen Geschwistern aufgetragen, „Sibelius“ zu sagen, falls ein Fremder sie nach ihrem Vater fragen sollte. Manfred Sellier begann in Oldenburg als „Kino-Ingenieur“ für die britische Army Kinema Corporation zu arbeiten. Dort lernte er eine neue Frau kennen, die Ehe mit Johanna Sellier wurde geschieden. 1951 heiratete er in Oldenburg zum dritten Mal. Das Paar zog nach München.
In München betätigte sich Sellier als „Exportmakler“. Die Sonderausgabe der Forschungs- und Arbeitsgruppe des BND zu „Kassationen von Personalakten im Bestand des BND-Archivs“ verzeichnet unter der Verwaltungsnummer 017893 eine Akte „S., M.“, Jahrgang 1898, Dienstzeit unbekannt, die am 28. August 2007 vernichtet wurde. So lässt sich nicht nachvollziehen, ob er womöglich eine Funktion im Gehlen-Apparat hatte. Unter dieser Verwaltungsnummer ist auch ein Eintrag bei der Zentralen Stelle Ludwigsburg angegeben.
1968 starb Manfred Sellier an seinem letzten Wohnort Übersee an Lungenkrebs und wurde dort beigesetzt.