Julius Eugen Ruhl
Quick Facts
Biography
Julius Eugen Ruhl (* 13. Oktober 1796 in Kassel; † 27. November 1871 ebenda) war kurhessischer Oberhofbaumeister und Oberbaudirektor, Akademieprofessor, erster Generaldirektor der kurhessischen Staatseisenbahnen und Referent für Bauwesen im Justiz- und Kriegsministerium des Kurstaates.
Herkunft
Julius Eugen Ruhl wurde als zweiter Sohn des Hofbildhauers Johann Christian Ruhl in eine aus Hanau eine Generation zuvor nach Kassel zugewanderte Familie geboren. Mütterlicherseits war er mit Johann Ludwig Völkel (1762–1829), Direktor der Landesbibliothek Kassel verwandt. Sein Bruder war der Maler Ludwig Sigismund Ruhl.
Ausbildung
Eine erste schulische Ausbildung erhielt er an der Artillerieschule in Kassel. Dort wurden auch Pionieroffiziere ausgebildet. Mathematik, Landvermessung, Planzeichnen, Chemie, Deutsch und Geschichte standen auf dem Lehrplan. Auch das Radieren und Ätzen von Metallplatten lernte er dort, was ihm später bei der Veröffentlichung von bauhistorischen Unterlagen sehr nützlich war. Ziel dieser Ausbildung war zunächst wohl eine militärische Karriere in der Kurfürstlich Hessischen Armee.
1813/14 nahm Julius Eugen Ruhl im Generalstab des Kurprinzen Wilhelm II. an den Befreiungskriegen teil. Erst danach wurde er Schüler des Hofbaumeisters Heinrich Christoph Jussow, der wiederum Nachfolger in diesem Amt von Simon Louis du Ry war. Dabei entstanden erste Entwürfe für Arbeiten an Schloss Wilhelmshöhe. Anschließend erhielt er ein dreijähriges Reisestipendium, um seine Studien in Italien fortsetzen zu können. Von Juni 1817 bis Mai 1819 studierte er in Rom, anschließend hielt er sich in Süditalien auf und besuchte Neapel, Sizilien, Kalabrien, Salerno, Paestum, Pompeji und Herculaneum. Anschließend reiste er über Florenz, Pisa und Genua nach Paris. Von seiner Studienreise 1820 nach Kassel zurückgekehrt nahm er die Studien bei Jussow wieder auf.
Berufliche Karriere und Werk
1821 trat er in den Dienst der kurfürstlichen Bauverwaltung. Am 26. Februar 1823 wurde Ruhl auf Vorschlag seines Lehrers Jussow zum Hof- und Landbaumeister der Provinz Hanau ernannt. Zu seinen Aufgaben gehörte die Instandhaltung und Errichtung öffentlicher Gebäude, die städtebauliche Erweiterung der Stadt Hanau und von Bad Nauheim. Aufsehen erregte er bei seinen Vorgesetzten, als er sich weigerte, für die öffentliche Hinrichtung des Raubmörders Peter Kitzler auf dem Marktplatz von Hanau ein Schafott zu errichten.
Die römisch-katholische Kirche St. Laurentius in Großkrotzenburg wurde in den Jahren 1826–1828 unter Pfarrer Philipp Kreisler von ihm errichtet.
Im November 1829 wurde er nach Kassel versetzt und 1831 zum Oberhofbaumeister befördert. Bereits 1832 wurde er überraschend auch zum Mitglied des Direktoriums der Akademie in Kassel ernannt – eine Nebenamt – und geriet sofort mit den alteingesessenen Professoren in Konflikte. Nachdem diese eskaliert waren, schied er 1840 wieder aus.
Als Kurhessen nach der Julirevolution von 1830 eine Verfassung erhalten hatte, war der Bau eines Parlamentsgebäudes erforderlich – das „Ständehaus“. Aus dem dafür ausgeschriebenen Wettbewerb ging er als Sieger hervor und der Gewinn dieses Wettbewerbs brachte ihm 1833 zugleich die Beförderung zum Baudirektor. 1835 gehörte er zu den Mitbegründern des Kunstvereins für Kurhessen. 1837 folgte seine Ernennung zum außerordentlichen Mitglied für Baufragen des Oberhofmarschallamtes und der Hofdomänenkammer. 1846 wurde er – wobei er sein bisheriges Dienstverhältnis beibehielt – geheimer Referent für Eisenbahnangelegenheiten im Kabinett. Damit war der Schwerpunkt für die berufliche Tätigkeit gesetzt, aus der die Mehrzahl seiner Bauten, nämlich Bahnhofsempfangsgebäude, überliefert sind, denn am 5. Juli 1850 ernannte ihn Kurfürst Friedrich Wilhelm zum Generaldirektor für Staatseisenbahnen im Kurfürstentum Hessen. Die meisten der ursprünglichen Empfangsgebäude der Friedrich-Wilhelms-Nordbahn-Gesellschaft, der Main-Weser-Bahn und der Frankfurt-Hanauer Eisenbahn-Gesellschaft (in ihren kurhessischen Abschnitten) gehen auf seine Entwürfe zurück. Außerdem ist von ihm der Entwurf für einen kurfürstlichen Salonwagen bekannt.
Am 26. Oktober 1853 wurde Ruhl schließlich – sein Vorgänger war in den Ruhestand versetzt worden – zum Oberbaudirektor für den Kurstaat ernannt. Gleichzeitig übernahm er den Vorsitz der Oberbaukommission und wurde Referent für das Bauwesen im Justiz- und im Kriegsministerium des Kurstaates. Sein Amt bei der Eisenbahn gab er zu dieser Zeit auf.
1860 war er Mitbegründer des „Kurhessischen Architektenvereins“.
Nach dem Preußisch-Österreichischen Krieg, der 1866 zum Untergang Kurhessens als selbständigem Staat führte, wurde er vom Königreich Preußen, das den Kurstaat annektierte, als Oberbaudirektor und Ministerialreferent übernommen. Erst 71-jährig wurde er zum 18. März 1867 in den Ruhestand versetzt.
Familie
1830 heiratete er in Hanau Marie Gertrude Serruier, Tochter eines in niederländischen Diensten stehenden Obristen. Aus der Ehe gingen hervor:
- Luise Elisabeth Eugenie Polyxene (1833–1908)
- Johann Philipp Alexander (1815–1830)
- Louis Erwin Julian (1840–1885)
Werk
Ort | Gebäude | Planungs- und Bauzeit | Anmerkung |
---|---|---|---|
Großkrotzenburg | Kirche St. Laurentius | 1826–1828 | |
Hanau | Kirche Mariae Namen | 1842–1850 | im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt |
Bad Nenndorf | Kirche St. Godehard (ev.) | 1839–1853 | |
Volkmarsen | Evangelische Kirche | 1839–1847 | |
Hanau | Collegienhaus (Kaserne) | 1858–1859 | im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt |
Hanau | Wohnhaus „Arche Noah“ | 1827–1828 | im Zweiten Weltkrieg zerstört |
Hanau | Zollamt | 1830 | im Zweiten Weltkrieg zerstört |
Kassel | Ständehaus (Parlamentsgebäude) | 1832–1836 | |
Kassel | Ruhl’sches Haus (Wohnhaus) | 1833–1842 | im Zweiten Weltkrieg zerstört |
Hanau | Landgericht | 1842 | vermutlich von Ruhl; im Zweiten Weltkrieg zerstört |
Bad Nauheim | Kurgebäude mit Spielbank | 1864–1866 | baulich stark verändert |
Bad Nenndorf | Kur- und Badegebäude | 1855 | Erweiterung der ursprünglichen Anlage von Simon Louis du Ry |
Kassel | Bahnhof: Provisorischer Hauptbahnhof | 1847–1848 | Friedrich-Wilhelms-Nordbahn |
Wahlershausen | Bahnhofsgebäude | 1846–1849 | heute: Kassel-Wilhelmshöhe; beim Bau des ICE-Bahnhofs abgerissen |
Bad Karlshafen | Bahnhofsgebäude, linkes Ufer | 1847–1849 | Carlsbahn; vor 1972 abgerissen |
Helmarshausen | Bahnhofsgebäude | 1847–1849 | heute: Wohnhaus |
Trendelburg | Bahnhofsgebäude | 1848–1849 | eventuell von Ruhl |
Hümme | Bahnhofsgebäude | 1848–1849 | nur ein Teil des Entwurfes wurde errichtet; 1896 durch Neubau ersetzt |
Hofgeismar | Bahnhofsgebäude | 1846–1848 | |
Grebenstein | Bahnhofsgebäude | 1847–1849 | Ruhl als Urheber fraglich; 1873 außer Funktion |
Guntershausen | Bahnhofsgebäude | 1846–1848 | zusammen mit G. Tasch |
Beiseförth | Bahnhofsgebäude | 1847–1848 | vermutlich von Ruhl |
Melsungen | Bahnhofsgebäude | 1846–1848 | 1895 völlig verändert |
Rotenburg an der Fulda | Bahnhofsgebäude | 1847–1848 | siehe |
Warburg/Westfalen | Bahnhofsgebäude | 1850–1853 | |
Eisenach | Bahnhofsgebäude | 1848–1850 | |
Gensungen | Bahnhofsgebäude | 1847–1849 | |
Wabern | Bahnhofsgebäude | 1847–1848 | stark umgebaut |
Borken | Bahnhofsgebäude | 1847–1849 | im Zweiten Weltkrieg zerstört, Abbildung bei Münzer, S. 56 |
Zimmersrode | Bahnhofsgebäude | 1847–1849 | 1980 abgerissen |
Treysa | Bahnhofsgebäude | 1847–1849 | 1907 durch Neubau an anderer Stelle ersetzt, erhalten |
Neustadt (Hessen) | Bahnhofsgebäude | 1849 | |
Kirchhain | Bahnhofsgebäude | 1847–1849 | |
Marburg | Bahnhofsgebäude („Champagnerbahnhof“) | 1847–1850 | 1907 durch Neubau ersetzt |
Fronhausen | Bahnhofsgebäude | 1849 | |
Lollar | Bahnhofsgebäude | 1849–1850 | |
Bad Nauheim | Bahnhofsgebäude | 1847–1849 | 1911/13 durch Neubau ersetzt |
Bockenheim | Bahnhofsgebäude | 1851 | durch Neubau ersetzt; heute: Frankfurt West |
Wilhelmsbad | Bahnhofsgebäude | 1846–1848 | heute: Hanau-Wilhelmsbad |
Hanau | Bahnhofsgebäude | 1846–1848 | abgerissen; heute: Hanau West |
Haste | Bahnhofsgebäude | 1846–1848 | |
Lindhorst | Bahnhofsgebäude | 1846–1847 | |
Stadthagen | Bahnhofsgebäude | ? | |
Kirchhorsten | Bahnhofsgebäude | 1846–1847 | |
Bückeburg | Bahnhofsgebäude | 1846–1847 | |
Hailer-Meerholz | Bahnhofsgebäude | 1868 | evtl. v. J.E.Ruhl |
Langenselbold | Bahnhofsgebäude | 1868 | evtl. v. J.E.Ruhl |
Literatur
- Gottfried Ganssauge: Julius Eugen Ruhl, Oberbaudirektor. In: Ingeborg Schnack (Hrsg.): Lebensbilder aus Kurhessen und Waldeck 1830–1930. Marburg 1950, S. 300–310. (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck, 20,4.)
- Ulrike Hanschke: Romantische Visionen im „Glorious Eden“ – die Entwürfe des Kasseler Architekten Julius Eugen Ruhl für das Schloss Pena in Sintra/Portugal. In: INSITU. Zeitschrift für Architekturgeschichte 1 (2/2009), S. 91–102.
- Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.): Eisenbahn in Hessen. Theiss Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-8062-1917-6. (= Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Kulturdenkmäler in Hessen.)
- Siegfried Lohr: Planungen und Bauten des Kasseler Baumeisters Julius Eugen Ruhl 1796–1871. Ein Beitrag zur Baugeschichte Kassels und Kurhessens im 19. Jahrhundert. Darmstadt 1984 = Kunst in Hessen und am Mittelrhein, Beiheft 23.
- Lutz Münzer: Verkehr und Anlagen der nördlichen Main-Weser-Bahn. In: Jahrbuch für Eisenbahngeschichte 32 (2000), S. 28–60.
- Henning Repetzky: Ruhl, Julius Eugen. In: Allgemeines Künstlerlexikon. Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker (AKL). Band 100, de Gruyter, Berlin 2018, ISBN 978-3-11-023266-0, S. 109 f.