Biography
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Quick Facts
Intro | German sociologist | |
Places | Germany | |
is | Sociologist Educator | |
Work field | Academia Social science | |
Gender |
| |
Birth | 1 January 1962, Egg, Bregenz District, Vorarlberg, Austria | |
Age | 63 years |
Biography
Ferdinand Sutterlüty (* 1962 in Egg, Österreich) ist ein Soziologe, der sich mit Gewalt- und Kriminalsoziologie, Sozialisation, Familien- und Jugendsoziologie, sozialer Ungleichheit und Exklusion, ethnischen Konflikten sowie mit Religionssoziologie beschäftigt. Sutterlüty studierte zunächst Katholische Theologie an der Universität Innsbruck, dann Soziologie an der Universität Konstanz und der Freien Universität Berlin. Ab 2001 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main; seit 2007 ist er dort als Mitglied des Kollegiums tätig. Von 2007 bis 2012 lehrte er als Professor für Soziologie an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Paderborn; seit dem Sommersemester 2012 hat er die Professur mit dem Schwerpunkt Familien- und Jugendsoziologie am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt inne. Weiterhin ist Sutterlüty seit dem ersten Jahrgang (2004) Mitherausgeber der interdisziplinären Zeitschrift "WestEnd. Neue Zeitschrift für Sozialforschung".
Gewaltkarrieren
Zwischen 1996 und 2000 führt Ferdinand Sutterlüty Befragungen, basierend auf leitfadengestützen Interviews, mit 18 Berliner Jugendlichen zwischen 15 und 21 Jahren durch, welche, abgesehen von drei Vergleichsfällen, bereits des Öfteren schwerwiegend gewalttätig wurden. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen auf, dass Gewalttäter keineswegs immer rational handelnde, planende und bestimmte Ziele verfolgende Akteure sein müssen, sondern im Gegenteil, oft das Gefühl haben die Kontrolle über ihr eigenes Leben und Handeln zu verlieren. Sutterlüty beschreibt die biographischen Entwicklungen jener jugendlichen Mehrfachtäter mit dem Konzept der Gewaltkarriere, welche vielfach von Verhängnissen, dem Erleiden familiärer Gewalt und Missachtung geprägt ist.
Eine Gewaltkarriere besteht gewissermaßen aus drei Phasen, der Verlaufskurve des Erleidens, einer epiphanischen Erfahrung in Form eines biographischen Wendepunktes, sowie den Handlungsschemata der Gewaltausübung.
Die Verlaufskurve des Erleidens ist geprägt von familiärer Gewalt und Missachtung, wobei zwischen diesen beiden Ausprägungen zu unterscheiden ist. Familiäre Gewalt in Form von Misshandlungen wie dem Schlagen der Kinder oder des Partners, schüren Gefühle des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht. Betroffene Kinder, welche aufgrund ihres Alters physisch unterlegen sind, sich also weder wehren, noch jemanden verteidigen können, erfahren sich als handlungsunfähige Zeugen der Situation. Hinzu kommt die moralische Verletzung, da sie nicht so agieren können, wie sie es für richtig hielten, als auch die ständige Angst vor erneuten Misshandlungen. Diese Ohnmachtserfahrungen verkehren sich irgendwann schließlich in Phantasien der Gegengewalt, den familiären Täter gewaltsam zur Rechenschaft zu ziehen und die Handlungsmacht an sich zu reißen. Missachtungserfahrungen hingegen gehen nicht aus dem physischen Ausgeliefertsein hervor, sondern aus der Verletzung von Anerkennungsbedürfnissen, Zuwendung, Ansprache und Wertschätzung. Sie können zur Beeinträchtigung des Selbstvertrauens und der psychischen wie sozialen Integrität führen. Die Kinder verlieren das Vertrauen in ihre Fähigkeiten und den Wert ihrer eigenen Person, glauben der Zuneigung anderer nicht würdig zu sein. Degradierende Zuschreibungen der Familienmitglieder, wie Versager oder Taugenichts, bauen sie in ihr Selbstbild ein und können sich bis in die Jugendphase hinein nicht von diesen negativen Etikettierungen lösen. Oft zeigen sich solche Zuschreibungen als selbst erfüllende Prophezeiungen, führen zu negativen Selbstkonzepten, welche bei der späteren Gewaltausübung eine ebenso große Rolle spielen, wie die Verlaufskurven familiärer Gewalt.
Die epiphanische Erfahrung beschreibt einen biographischen Wendepunkt, ein bestimmter Gewaltakt, der gewissermaßen eine Grenzlinie zwischen einem Davor und Danach zieht und von bleibender Bedeutung für das weitere Leben ist. Besonders treten solche Erfahrungen in Situationen auf, in denen die Jugendlichen zum oft lang ersehnten Gegenschlag gegen einen familiären Täter ausholen und damit von der Opfer- in die Täterrolle fallen. Solche Ereignisse führen zu einer Neudefinition eines wehrhaften und gewaltbereiten Selbst. Dieser Rollentausch eröffnet plötzlich die Möglichkeit, eine lange Opfergeschichte zu beenden. Es ist ein Befreiungsschlag, der von der Verlaufskurve des Erleidens in das Handlungsschema der Gewaltausübung überführt.
Durch Gewaltausübungen erfahren die Jugendlichen nun eine Handlungsmacht, die sie innerhalb ihres gewalttätigen familiären Umfelds verloren hatten. Jedoch schafft ein Gewaltakt ihre Leidenserfahrungen nicht aus der Welt. Diese wirken fort und die Jugendlichen wollen ihre neu gewonnene Aktionsmacht ständig aufs Neue unter Beweis stellen. So entstehen Handlungsschemata der Gewaltausübung, welche durch gewaltaffine Interpretationsregimes, also in der familiären Sozialisation erworbene Wahrnehmungsmuster, in denen sich die Langzeitwirkungen der Leidenserfahrungen manifestieren, geprägt sind. Aus solchen Handlungsschemata gehen des Weiteren intrinsische Tatmotive hervor, welche zu einer Verselbstständigung gewalttätiger Handlungsmuster führen. Überdies bilden sich Gewaltmythologien, welche Gewaltakte schließlich normativ auszeichnen und glorifizieren.
Schriften
- Gewaltkarrieren. Jugendliche im Kreislauf von Gewalt und Missachtung. Frankfurt am Main und New York: Campus Verlag 2002 (2. Auflage 2003), ISBN 3-593-37081-6
- In Sippenhaft. Negative Klassifikationen in ethnischen Konflikten. Frankfurt am Main und New York: Campus Verlag 2010, ISBN 978-3-593-39050-5